Gerade bei Früchten, die sich nur schwer brennen lassen, wird der gewichtige Unterschied zwischen Geisten und Bränden wichtig. Im ersteren Fall handelt es sich um einen Fruchtauszug – kleine Früchte mit nur geringem Zuckergehalt werden in eine Neutralalkoholbasis gelegt und geben dadurch ihr Aroma ab. Nach einer Destillation erhält man so zum Beispiel einen Himbeergeist. Gerade für Himbeeren ist dies eine beliebte Vorgehensweise, denn sie haben nur rund 5% Zuckeranteil. Was es schwierig macht, aus ihnen einen klassischen Obstbrand herzustellen, bei dem die Früchte vermaischt und fermentiert werden, wozu Eigenzucker nötig ist; man braucht entsprechend sehr viel mehr Fruchtmasse, um einen Himbeerbrand herzustellen, als einen Himbeergeist.
Im Destilerija Zarić Rakija od Malina Opsesija werden entsprechend 20kg Himbeeren pro Liter verwandt – etwa siebenmal so viel, wie für einen qualitativ guten Himbeergeist angesetzt werden müssten. Der serbische Brenner destilliert in seinen Anlagen dann doppelt, um das Endprodukt zu erhalten. Ich habe eine gewisse Liebe zu Obstbränden entwickelt, sie werden oft unterschätzt, weil wir in Deutschland eine weitverbreitete Brennerkultur dafür haben und, wie es halt so ist, der Prophet gilt im eigenen Lande nichts, und was man überall bekommt kann ja nichts besonderes sein. Nichts ist ferner der Realität, darum freue ich mich immer, einen guten Obstbrand im Glas zu haben – was hiermit geschieht, um Euch mitzuteilen, was ich von dem fruchtigen Serben halte.
Kristallklar ist die Flüssigkeit, man sieht das ja schon in der Flasche, und erwartet das auch von einem Obstbrand. Eine gewisse Schwere zeigt sich beim Schwenken, aber keine wirkliche Öligkeit, dazu ist der Brand zu lebendig im Glas. Unabhängig davon verläuft der Film an der Glaswand langsam und in dicken, ineinander übergehenden Beinen.
Die Himbeere riecht man natürlich schon beim Eingießen über das Glas hinaus. Da gibt es nichts zu deuten, sie dominiert das Geruchsbild total, und lässt nur leichte, säuerliche Johannisbeerennoten neben sich bestehen. Eine gewisse Grünheit, die an unreife Äpfel und frisch geschnittenes, vollsaftiges Blatt erinnert, gesellt sich im Verlauf dazu, und Eindrücke von Waldhonig etwas Mineralität wie von feuchtem Beton. Da kann man lange dran schnuppern, ohne dass es langweilig wird – aber man merkt schon in der Nase, dass man hier einen stringenten, klaren, unabgelenkten Brand vor sich hat.
Der Antrunk ist süß und hat eine gewisse Stumpfheit, die ich nicht erwartet hatte. Im Mund wirkt der Opsesija gar nicht so frisch und säuerlich, wie man es von der Nase her vermutet hätte, er ist eher schwer, beinahe dunkel, voll von der Fruchtsüße beherrscht, nicht von der Fruchtsäure. Nach dem stumpfen Antrunk entwickelt sich aber eine traumhafte, dichte Himbeeratmosphäre, der Brand hellt sich auf, entfaltet sich, man entdeckt ein fast schon sahneartiges Mundgefühl und auch aromatisch meint man, Himbeeren in Sahne getunkt im Mund zu haben. Eine leichte Pikanz und Salzigkeit beginnt, die sich zum Abgang hin immer stärker zeigt. 40% Alkoholgehalt spürt man gegen Ende, obwohl sie gut eingepasst sind und am Ende für Abwechslung sorgen.
Der Abgang ist extrem lang und sehr warm, mit einem hocharomatischen Nachklingen von Himbeeren mit Pfeffer. Etwas Adstringenz ist da, begleitet von herber Bittere, und die Zungenoberfläche wird anästhesiert. Ganz zum Schluss kommt die zuvor erschnupperte grüne Komponente immer deutlicher zum Vorschein, wie ein tiefer Atemzug in einem dicht bewachsenen, feuchten Gewächshaus. Selbst nach 20 Minuten und einer Tasse Kaffee verbleibt der Opsesija noch im Mund erkennbar, das ist schon sehr beeindruckend.
Ein sehr aromatischer, voller und schwerer Brand, der das beste aus der Himbeere in sich trägt und mit nur Beikomponenten unterstützt, statt von dem Hauptdarsteller abzulenken. Ich liebe ihn, das ist komplex, ohne dies mit vielen unterschiedlichen Aromen zu erreichen, sondern nur unterschiedlichen Nuancen der einen Frucht. Wer Himbeeren mag, wird diesen Rakiya lieben, da bin ich mir sicher.
Ich hatte vor einer Weile mal einen Raspberry Sour gemacht, mit einem italienischen Himbeergeist, und vor kurzem habe ich erfahren, dass man einfach durch Aufgießen mit Sprudel aus so einem Sour einen Himbeer Silver Fizz macht. Der Drink wird dadurch leichter und frischer, er verträgt aber auch dann einen stärkeren Himbeerbrand – ein ideales Einsatzgebiet für den serbischen Rakiya.
Himbeer Silver Fizz
2 oz Himbeerbrand
1 oz Zitronensaft
⅔ Zuckersirup
1 Eiweiß
Auf Eis shaken. Mit Soda toppen.
[Rezept nach Thorsten Pannek]
Die Destillerie Zarić füllt viele ihrer Produkte in diese ungewöhnliche Flaschenform ab – und versieht sie dann mit einem Nachfüllstopp, der bei derartig hochwertigen Produkten in Ländern, in denen Produktfälschung durchaus an der Tagesordnung ist, dabei hilft, dass man das „echte“ Destillat bekommt, und nicht ein ins Leergut wiederaufgefülltes Billigprodukt.
Diesen Rakiya hatte ich von meiner Reise nach Plovdiv (Bulgarien) mitgebracht, wo ich 2018 mit dem wandernden Spirituosenwettbewerb Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles als Juror unterwegs war. Svetlin Mirchev, der Godfather of Rakiya, hatte ihn in einer kleinen Verkostungsrunde abends dabei, und mich sofort damit geködert; er erwähnte, dass er die Destillerie für eine der besten hält, die der Balkan in Bezug auf Obstbrand zu bieten hat. Nach diesem Brand glaube ich das ohne jeden Zweifel.