Äpfel mit Birnen vergleichen – Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire 8 Ans

Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire 8 Ans Titel

Calvados aus der Region Domfrontais muss zu mindestens 30% aus Birnen bestehen. Das ist eine Klausel, die eingeführt wurde, um die Früchte der Birnenhaine, die in dieser Region Nordfrankreichs heimisch sind und auf der dünnen Erdschicht, die den Granitsockel dort bedeckt, besser wachsen als Apfelbäume, verwenden zu können. Eine weitere Motivation war,  diese durch Naturkatastrophen und falsche EU-Subventionspolitik, die Getreide bevorzugt, gefährdeten Pflanzenkulturen zu schützen. Viele der Calvados, die von dort kommen, nutzen darum aber auch deutlich mehr als diese Untergrenze an Birnenanteil – viele gehen auf die Hälfte, manche sogar auf zwei Drittel. Und so ist es kein Wunder, dass manche den letzten Schritt konsequenterweise auch noch gehen, den eigentlich als Apfelbrand bekannten Calvados uminterpretieren und ihn einfach vollständig aus Birnen herstellen; so wie das beim Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire 8 Ans der Fall ist.

Mindestens 3 Jahre (eins mehr als der Calvados aus anderen Regionen) muss er nach der Destillation in einem Säulenbrennapparat, der mit offenem Feuer beheizt wird, in Eichenholz reifen, um die AOC-geschützte Bezeichnung Calvados Domfrontais tragen zu dürfen; auch hier hat man sich auf der Ferme des Grimaux, dem Stammsitz des Hauses Pacory, dazu entschieden, noch einen Schritt über das Minimum hinauszugehen: 8 Jahre ruht er dort in den Fässern. Für mich eine schöne Dauer, die noch die Frucht erhalten, gleichzeitig aber auch attraktive Holzaromen ins Destillat hineintragen kann. Nun mag man skeptisch sein und denken, hm, das hat doch bestimmt sensorisch nicht mehr viel mit einem frischen, jungen Apfelbrand zu tun, mit dem wir meist den Calvados assoziieren? Probieren wir ein paar Schlucke dieses normannischen Sonderlings, um das zu überprüfen.

Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire 8 Ans

Rein optisch würde ich zunächst mal keinen Unterschied zwischen einem reinen Apfel- und diesem Birnencalvados ausmächen können. Die Farbe ist kräftiges Safran, leuchtet schon in der Flasche, um so mehr im Glas, wo er sich lebendig und fast ohne Schwere beim Schwenken bewegt. An der Glaswand bilden sich viele dicke Beinchen dabei, die in vielen wurzelähnlichen Bahnen kreuz und quer ablaufen.

Die Nase ist sehr fruchtig. So richtig richtig fruchtig. Enorm viel Birne natürlich, allerdings mit einer knackigen, saftigen und frechen Frische, die man einem 8 Jahre alten Brand gar nicht zugetraut hätte – als würde man in eine leicht überreife Birne beißen. Wie das Blattgrün von Pfingstrosen wirkt das teilweise, und hat diesen der Birne etwas verwandten Korianderton, der nicht unangenehm ist. Eine minimale medizinische Note entsteht dabei, würde ich sagen. Das Fassholz gibt etwas Vanille und Zimt dazu, was die Frucht sogar noch etwas betont, statt sie zu überdecken, sie etwas in Richtung frischer Pfirsich bewegt. Schnuppert man sehr tief, piekst ein bisschen Ethanol. Ein höchst attraktiver und vielschichtiger Gesamtduft, der sich über das Glas hinaus schnell einen Meter im Raum verbreiten kann.

Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire 8 Ans Glas

Im Mund beginnt der Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire mild, süßlich, fast schon schal und mit deutlichem Eindruck von Rancio. Die Frucht erblüht dann aber direkt, mit einerseits blumigen Tönen, andererseits einer trockenen Herbe, die an die Schale der Birne erinnert. Der Verlauf ist dann aber ein ganz anderes Kaliber – da ensteht plötzlich starke Bittere, und kräftige, pfeffrige Würze, die auf der Zungenspitze kitzelt, und die Birne voll nach vorne schießt. Zu diesem Zeitpunkt glüht der ganze Geschmacksapparat, man muss kurz Luft holen, und dabei nimmt der Luftstrom die Aromatik der Birne und des Holzes auf und lasst beide geradezu explodieren. Der Abgang ist heiß, mittellang, und anästhesiert über viele Minuten fast die gesamte Zunge, nicht mit den 42% Alkoholgehalt, nein, mit der Kraft der Kombination aus zimtigen Holz und frecher Fruchtsäure. Sehr lange hat man die bitteren Effekte als Nachhall am Gaumen, und der Geschmack hängt extrem lange nach, kräftig, apfelig-birnig, jasminig, vanillig.

Uiuiui, das ist ein radikales, brutales Geschoss, das man vorsichtig kennenlernen muss. Ich bin höchst begeistert, von diesem Spannungsbogen, von dieser Kombination aus Frucht und Holz, das ist grandios kombiniert. Eher zartbesaitete Trinker müssen hier etwas Mut mitbringen, doch wer auf wilde, ungebremste, starkaromatische Spirituosen steht, die sich nicht zurückhalten, der wird am Pacory Calvados Domfrontais 100% Poire garantiert genauso viel Spaß haben wie ich.

Das ist gleichzeitig auch eine Cocktailzutat, die sich gewaschen hat, da besteht keine Gefahr, dass sie gegen irgendwas untergeht. Den Le Pom’Pom habe ich in Christian Drouins Buch „Le livre des Calvados – Des racines normandes, Une ambition mondiale“ gefunden – er wird dort als emblematischer Cocktail für Calvados bezeichnet. Mit der Verwendung eines reinen Birnencalvados stellt sich zwar die Frage, ob der Name noch passt – oder ob ich ihn spontan in Le Poi’Poi umbenennen sollte. Das fände ich aber irgendwie albern, wegen so kleiner Details so ein Fass aufzumachen.

Le Pom'Pom Cocktail


Le Pom’Pom
6 Körner rosa Pfeffer im Shaker muddeln
3 zerrissene Basilikumblätter
1½ oz Calvados
¾ oz Zitronensaft
¾ oz Zuckersirup
Auf Eis shaken. Abseihen, und mit 1 oz Sprudel verlängern.

[Rezept nach Sullivan Doh, Michael Mas und Thomas Girard]


Nach dem Verkostungswunder nehme ich mir etwas Zeit, durchzuschnaufen, um die Präsentation zu begutachten. Mir fällt auf, dass mir nichts auffällt – wir haben hier eine höchstgradig zurückhaltende Gestaltung, das Produkt in der schön gerundeten Halbliterflasche steht voll im Vordergrund. Selbst der Geschenkkarton, in dem die Flasche geliefert wird, ist komplett ohne jede Dekoration und einfach nur braun, nur mit einem fast schon nachlässig aufgedruckten „8 ans“ obenauf – das ist ja schon beinahe fahrlässig, fügt sich aber ins Gesamtbild ein. Die kalligraphische Schrift auf dem Etikett allerdings passt so richtig gut zu diesem Calvados, der nicht freundlich, lieblich, zart oder zivilisiert daherkommt, dass eine ziselierte Schrift passen würde – nein, die wilden Striche geben genau das wieder, was man in der Flasche findet. Und das, glaube ich, ist genau gut so. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage, dass dieser Calvados das Potenzial hat, in meiner Liste der drei besten Spirituosen des Jahres 2021 zu landen, und das schon früh im ersten Quartal!

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.