In meinen vorherigen Artikeln über Sake habe ich die gröbsten Grundlagen des japanischen Reisbiers erklärt. Wer aufgepasst hat, dem sind Begriffe wie Reispolierrate, Junmai und Daiginjo keine Rätsel mehr. Nur, um sicher zu gehen, frische ich ganz kurz die Erinnerung an die zwei Hauptelemente auf, die wir im Namen des Île Four Junmai Daiginjo, den ich heute hier besprechen will, vor uns haben: Junmai bedeutet „ohne Zusatz von Neutralalkohol“, Daiginjo „Niedrigtemperaturfermentation mit langer Dauer“ sowie „Reispolierrate mindestens 50%“. Wir sehen also die theoretisch feinste Qualitätsstufe in diesem Sake, und erwarten durch die Kombination der Kennzeichen einen leichten, feinaromatischen, frischen Sake.
Dazu passt wohl, dass diese „Limited Edition“ aus einer nicht genannten Brauerei sich auch als „Modern Sake“ bezeichnet. Für uns Europäer, die nicht mit traditionellem Sake aufgewachsen sind, ist diese Bezeichnung sicher wenig aussagekräftig, denn der Vergleich fehlt. Wahrscheinlich ist damit einfach gemeint, dass man sich beim Importeur Spyglass Trading Europe wenig um komplexe, schwierige Etiketten und Aufmachungen schert, die den Kenner ansprechen sollen, sondern das Produkt einfach fett mit der Markierung „Sake“ versehen auf den Markt bringt, um neue, unverbrauchte Konsumentenschichten zu erschließen. Nun, ein Eyecatcher ist die Flasche jedenfalls schonmal, schauen wir auf das Bier selbst.
Strohiges Pastellgold, die Färbung ist auch ohne Spezialglas mit blauweißen Vergleichskreisen gut erkennbar. Die Flüssigkeit bewegt sich schwer im Glas, nicht wässrig, und hinterlässt auch einen Film an der Glaswand mit langsam ablaufenden Beinchen.
Die Nase ist esterig, die lange Fermentation kann man hier schon erahnen. Fermentierte Pfirsiche, vergorene Ananas, leicht faule Mango; sehr fruchtig-aromatische Noten, die mich an andere asiatische Spirituosen erinnern: da ist mehr als nur ein Eindruck von Nongxiang-Baijiu. Gleichzeitig liegt aber auch die Frische grüner Äpfel und unreifer Birnen dabei, und Ideen von aromatischen Weißweintrauben. Interessant, ungewohnt, vielschichtig.
Sehr süß ist der Antrunk, ohne jede Kante oder Spitze. Diese Rundheit zieht sich durch die gesamte Verkostung. Die nur im Ansatz vorhandene Säure ist gut eingebettet. Schnell kommen die initial gerochenen Komponenten dann auch am Gaumen zum Vorschein – die fortgeschritten gereiften tropischen Früchte. 16% Alkohol merkt man gegen Ende, wenn eine ganz vorsichtige Würze einsetzt und am Zäpfchen etwas Wärme entsteht.
Der Abgang ist kurz, klar und rein, trotz der immer noch vorherrschenden Süße leicht trocken. Hier entsteht dann die Impression von gut gereiftem Chardonnay. Eine leichte Salzigkeit und milde Bitterkeit verbleibt noch etwas auf der Zunge, die aber auch kurz darauf verfliegen. Diese Sammeleindrücke des Nachklangs sind für mich sicherlich die absoluten Stärken des Île Four Junmai Daiginjo.
Ein sehr fruchtig veranlagter, trotzdem klarer und eleganter Daiginjo mit sehr attraktivem Nachhall. Der europäische Gaumen muss vielleicht über die initialen, vergleichsweise wuchtigen Fermentationsgeschmäcker hinwegkommen, bekommt danach aber ein sehr feines und hochgradig trinkbares Stück japanischer Kultur serviert.
Sake-Cocktail-Rezepte sind dünn gesät. Um so erfreulicher, wenn sich Könner wie Klaus St. Rainer am japanischen Reisbier versuchen, und so etwas rundes wie der Ichigo Ichie herauskommt. Statt des geforderten Junmais einen Daiginjo einzusetzen ist vielleicht etwas rezeptverändernd, doch es funktioniert trotzdem. Gefunden habe ich den Drink im sehr empfehlenswerten Sake-Buch von Susanne Rost-Aoki und Mitsuyoshi Aoki – eine Besprechung des Buchs folgt auch irgendwann hier auf diesem Kanal.
Ichigo Ichie
1½ oz Junmai Sake
1½ oz süßer Wermut
¾ oz Dry Gin
Im Tumbler auf Eis rühren. Mit Zitronen- und Orangenzeste absprühen.
[Rezept nach Klaus St. Rainer]
Die 720ml-Flasche (für uns eine ungewöhnliche Abfüllmenge) ist sehr elegant, leicht mattiertes Grünglas. Der Blechschraubverschluss ist typisch für Sake und kein Mangel. Die dezent zurückhaltende Etikettensprache, bei der die Vorderseite klar und sauber, passend zum Sake selbst, bleibt, wird ergänzt durch einen schönen Informationstext auf Deutsch auf der Rückseite. Ein sehr gut gewähltes Design, das anspricht.
Es gibt in Deutschland wahrscheinlich im Allgemeinen nicht allzuviele Sake-Freunde. Daher richte ich mich nicht an die Sake-Kenner, sondern an eine andere Personengruppe, die ich als Ziel für so ein Produkt ausmachen könnte. Falls es also jemanden unter meinen Lesern gibt, der gerne aromatische Weißweine mit eigenem Charakter trinkt, und offen für interessante Experimente ist – nun, diesem Personenkreis würde ich diesen Sake besonders ans Herz legen.