Tequila ist eine streng reglementierte Spirituose, etwas, das gern als Beispiel für Kontrolle der Qualität eines Produkts herangezogen wird. Nun muss man aber etwas genauer hinschauen, was dieses Reglement eigentlich aber verbietet und was es erlaubt – und da bricht die Fassade der Qualitätskontrolle recht schnell in sich zusammen. Für einen Tequila sind Zusatzstoffe explizit erlaubt, bis zu 1% des Endprodukts können aus Zuckerkulör, Eichenholzextrakt, Glycerin und zuckerbasierten Sirups (die darüber hinaus nicht einmal wenigstens aus Agavenzucker hergestellt sein müssen!) bestehen. Gerade letztere sind doppelt problematisch, denn sie können selbst wiederum künstliche und natürliche Aromen (Kakao, Vanille, Frucht, Kräuter) enthalten, die dann Komplexität und Aromenvielfalt des Destillats vorgaukeln.
Nichts davon muss laut Tequila-Regelung auf dem Etikett angegeben werden. Das, was gerade bei Rum im Gange ist, dass bei interessierten Konsumenten die Reinheit wieder etwas in den Vordergrund rückt und Zusatzstoffe geächtet, wenigstens aber deutlich kommuniziert werden müssen, ist bei Tequila noch in den Kinderschuhen. So muss man, wie bei Rum früher, kaufen und probieren. Als ich den 1800 Añejo kaufte, war mir persönlich diese ganze Sachlage unbekannt – letztlich ist er aber vom Geschmacksbild für mich ein Paradebeispiel dafür, was ich oben beschrieben habe. Doch ich greife vor, gießen wir uns erstmal ein Glas ein.
Braune Spirituosen, die in so zeigefreudigen Flaschen verkauft werden, wie das bei diesem Tequila der Fall ist, sind im allgemeinen gefärbt, und sei es nur, um die einzelnen Flaschen aneinander anzugleichen – der Standardkäufer ist leider immer noch nicht aufgeklärt genug, um zu verstehen, dass eine handwerklich hergestellte Spirituose nicht immer gleich aussehen muss. Nun, die Färbung beeinflusst den Geschmack normalerweise nicht, daher lebe ich damit. Mich wundert allerdings schon etwas, dass eine dreijährige Reifung in französischer und amerikanischer Eiche einen derart dunklen, kräftigen Mahagoniton erzeugen soll.
Eine recht dominante Kokosnote beherrscht den Geruch. Dazu riecht man milde, schwere Schokoladensüße, mit deutlichen Anklängen an Vanille. Hubba Bubba-Kaugummi, Zimt. Bei tieferem Riechen kommt Ethanol zum Vorschein. Kalter Rauch ist vielleicht eine mehr persönliche Assoziation, die ich wahrnehme.
Der Geschmack ist überraschend – Wintergrün ist ganz stark präsent, Hubba-Bubba-Kaugummi auch. Süß und schwer, aber ohne echte Tiefe. Leichtes Chili-Feuer kann man fühlen, dennoch wirkt der 1800 Añejo sehr weich im Mund. 38% sind eher mäßig eingebunden, insbesondere für ein gereiftes Produkt.
Der Abgang ist sehr kurz, der Zuckerwattegeschmack bleibt etwas am Gaumen, aber nur in Anflügen. Trocken, mild adstringierend. Alle Eigenschaften deuten darauf hin: Ich gehe davon aus, dass ein Diffusor zur Produktion eingesetzt wurde, und dass der dadurch fehlende Charakter durch Zusatzstoffe wie oben beschrieben hinzugeschummelt wurde.
Na, wenn man dann schon dabei ist, dann machen wir selbst noch ein paar Zutaten dazu, für einen Cocktail. La Bella Dona zeigt die Flexibilität von Tequila – er lässt sich mit allem kombinieren, was die Bar hergibt, und seinen einstigen Ruf als „schwierige Barspirituose“ (so las ich neulich erst in einem Buch über Tequila) sollte jeder Bar- und Schnapsfreund schnellstens aus dem Kopf tilgen.
La Bella Dona
1½ oz Tequila Añejo (z.B. 1800 Añejo)
½ oz trockener Wermut (z.B. Belsazar Dry)
¼ oz Absinthe (z.B. La Pontissalienne)
¼ oz Amaro (z.B. Averna)
2 Spritzer Lemon Bitters
Auf Eis rühren.
[Rezept adaptiert nach Payman Bahmani]
Das große Holzrad auf dem Plastikschraubverschluss ist auffällig und dekorativ; es verdeckt leider einen der von mir so gehassten AusgießNachfüllstopps, die es so ätzend schwer machen, halbwegs genau zu dosieren. Das augenfällige dreieckige Pyramidendesign der Flasche ist, auch wenn die Marke schon mehrere Redesigns hinter sich hat, schon älter – was das uralte, verstaubte Exemplar, das ich in der Tequilabar meines Vertrauens entdeckt hatte, beweist.
Man macht als Spirituosenfreund immer viele Phasen durch. Man kauft sich Produkte, die einem schmecken, nur um später festzustellen, dass man es lieber nicht getan hätte, weil die Herstellungsprozesse sehr fragwürdig sind. Ich trinke den 1800 Añejo noch weg, aber Nachkauf wird es von diesem Hersteller keinen mehr geben, und trotz genehmen Geschmacks möchte ich meinen Lesern auch keine echte Kaufempfehlung geben – es gibt genug ehrlichere, bessere Alternativen bei Tequila.
Sehr guter Post. Wie in der Nahrungsmittelindustrie lohnt sich Ehrlichkeit – bezüglich der Zutaten und Herstellungsprozesse – auch hier nicht. Man ist als Spirituosen Liebhaber oder Connoisseur auf eigene Recherche und Erfahrungen angewiesen. Mit ihrem Blog leisten Sie einen sehr wertvollen Beitrag.
Grade wälze ich mal wieder einen ketzerischen Gedanken, mit dem ich mich bei Alkohol- und auch Psychedelica-Puristen wohl gleichermaßen unbeliebt mache: Kann es sein, dass das Edle und Besondere am Alkohol grade seine Fähigkeit ist, viele Aromen und Wirkstoffe lösen und binden zu können? Man daher also gradezu verpflichtet ist, nach Kräften zu Mischen, Mazerieren und einzulegen?
Auf jeden Fall. Aber es gibt eben „Mischer“ und „Panscher“. Ist ein Luxusproblem, klar. Aber da die Quittung für schlechten Alkohol meistens erst am nächsten Tag kommt, lohnt es sich umsichtig vorzugehen. Oder man erträgt eben die extra Kopfschmerzen. Geht auch.
Tue nichts in den Rumtopf, was Deine Tante nicht aussprechen könnte. Stimme ich absolut zu.
Die 1% Regelung gilt für die gelagerten Tequilas. Allerdings bis 2014 auch für die Blancos.
Tatsächlich wäre das auch ein spannendes Thema für einen Artikel – die Änderungen in Regelungen für Spirituosen über die Zeit. Da gibt es weitere interessante Dinge zu finden…