Es gibt ein paar Namen, die hört man im Barbusiness immer wieder. Während der Großteil der hinter der Theke arbeitenden Bevölkerung leider schon nicht mal den Gästen, die direkt vor ihnen stehen, namentlich bekannt sein wird, eilt der Ruf einigen Personen voraus – Jeffrey Morgenthaler gehört ganz gewiss zu dieser illustren, exklusiven Gruppe. Seine Arbeit in den Bars Clyde Common und Pépé Le Moko im, was Cocktails angeht, heißen Nordwesten der USA, sorgt dafür, dass er am Puls der Zeit steht, was Kreativität angeht – sein inzwischen berühmter Amaretto Sour ist laut eigener Meinung der beste der Welt (ich würde es nie wagen, ihm zu widersprechen!). Morgenthaler taucht regelmäßig in allerlei Listen auf, in denen es um die einflussreichsten Bartender der Geschichte geht.
Was tut man aber nun als Bartender, Barbesitzer, anerkannter Mixologe, berühmte Persönlichkeit, wenn man schon alles erreicht hat? Man schreibt ein Kochbuch, oder besser noch ein Cocktailbuch. Zusammen mit Coautorin Martha Holmberg hat sich Morgenthaler dafür entschieden, sein über Jahre angehäuftes Wissen mit der Welt zu teilen. Und zwar nicht in Form eines Rezeptebuchs, davon hat die Welt schon genug, sondern als Kompendium für das Handwerk des Cocktails an sich. Elements of Cocktail Technique ist entsprechend auch der durchaus gut passende Untertitel für The Bar Book.
Man sieht schon auf dem Cover, dass eine gewisse Werkzeugkunde mit von der Partie sein wird. Die abgebildeten Siebe und Strainer sind neben Shakern vielleicht das prominenenteste Toolset des Barmanns und der Barfrau, doch Morgenthaler hält sich damit nicht groß auf, ein Buch über Hausbau erklärt ja auch nicht, was ein Hammer ist. Saftpressen, Eisbereiter, Jigger und anderes werden dennoch jeweils im Kontext der Benutzung kurz vorgestellt.
Den Platz nutzt er anders – das Handwerk besteht auch aus mehr als nur dem Einsatz von traditionellen Werkzeugen; der moderne Mixologe braucht durchaus umfangreiche Kenntnisse über die Herstellung von Sirups, Infusionen, Bittern und Tinkturen und anderen hausgemachten Spezialzutaten (obwohl ich nicht wirklich der größte Fan von dieser Art von Dead-Rabbit-Style Mise-en-Place hinter der Bar bin). Morgenthaler macht alles in seiner Bar selber, was auch nur irgendwie selbst herstellbar ist – Zuckersirups, Orgeat, Fruchtsäfte und Eis. Kleine Kennerdetails, wie man bei Kräutersirups beispielsweise die Farbe erhält, sind entsprechend natürlich auch mit von der Partie. Sein Kapitel über Eis ist das beste, was ich diesbezüglich kenne, mit weitem Abstand – hier entzaubert er manche Mythen (wie die vom abgekochten Wasser, das klareres Eis ergeben soll) auf eine wissenschaftliche, empirische Weise.
Tatsächlich ist Morgenthaler ein Perfektionist. Er erklärt nicht nur, wie man beispielsweise das schiefe Aufsetzen des Mixglases beim Boston Shaker durchführt, sondern es gibt auch eine Risszeichnung dazu. Und er erklärt, warum man beim Dry Shake das Glas anders, nämlich gerade, aufsetzen soll, um das Siegel, das die Flüssigkeiten daran hindert, die unvollkommene Schnittstelle zwischen Glas- und Metallbecher zu durchqueren, trotz fehlender Kälte im inneren des Shakers aufrecht zu erhalten. Ähnlich konsequent und detailreich, dabei gleichzeitig aber immer am tatsächlichen Bedarf orientiert, behandelt er alle Themen. Das Handwerk, das den größten Teil am Mischen von Cocktails ausmacht (Zitat: „Bartending is not, to the dismay of many, an art form. It is a craft.“ Er hat recht, so leid es mir tut, all ihr sphärischen Cocktailkünstler und verkopften Mixologieprofessoren!), wird hier aufgeschlüsselt.
Trotz all der Detailverliebheit verliert sich Morgenthaler nie in Schwärmerei oder Laberei. Er (oder vielleicht seine Coautorin) schreibt bodenständig und klar; leider geht sein etwas frecher Humor und seine laute, meinungsstarke Art, die man oft in seinen Online-Texten und Kolumnen, wie der für den Playboy, findet, dabei nicht mit in den Text ein.
Das Buch weist dickes, festes Hochglanzpapier auf, entsprechend nehmen die beinahe 300 Seiten dann auch gebunden und mit hartem Kartoneinband versehen eine Menge Platz im Cocktailbuchregal ein. Die gute Fadenbindung sorgt dafür, dass man das Buch offen liegen lassen kann, ohne dass es von allein wieder zuklappt oder umblättert – bei dieser Art von Literatur ein unschätzbarer Vorteil, denn man braucht beim Mischen halt praktisch immer beide Hände und hat selten eine dritte zur Verfügung.
Das Fazit – ein lehrreiches und schön gestaltetes Buch selbst für die, die sich schon sehr stark mit Cocktails und dem Barbetrieb auseinandergesetzt haben. Wer ansatzweise englisch spricht und sich einen umfassenden, locker geschriebenen und mit vielen Bildern ausgestatteten Überblick über die Arbeitswelt der modernen Bar verschaffen will, ist hier genau richtig. Wer es gelesen und verinnerlicht hat, kann seine eigene Bar ohne weiteres eröffnen (einen Buchführungs- und Hauswirtschaftskurs natürlich darüber hinaus vorausgesetzt), oder auch die Qualität der Cocktails aus der eigenen kleinen Heimbar enorm steigern.
Sehr schön beschrieben und tolle Fotos – Jeffrey ist für mich einer der ganz Grossen im Barbusiness!