Die Zeiten ändern sich – Hayman’s Old Tom Gin

Hayman's Old Tom Gin Titel

The Times They Are a-Changin‘ – so kehrreimte Bob Dylan in einem seiner bekanntesten Lieder. Wie alle Lieder, die so lange Zeiten überdauern, dass wir sie nach Jahrzehnten heute noch hören, hat der Song eine 1964 wie heute drängende Botschaft in sich: als Aufforderung an die Gesellschaft, den Wandel zu akzeptieren und sich ihm zu öffnen.

Der Wandel an sich ist ja erstmal keine positive oder negative Sache. Die Zustände, die aus ihm entstehen, können dann aber schon besser oder schlechter sein als vorher; und, um wegzukommen von sozialen und politischen Änderungen wieder hin zum Kernthema dieses Blogs, auch die Barwelt macht so ihre Wandlungen durch. Mal zum Schlechten, wenn Auswüchse wie Zucker im Rum, überindustrialisiertes Bier und exzessives, oberflächliches Flairbartending einem den Spaß am Schnaps nehmen; aber auch mal zum Guten, wie die aktuelle Craftbierbewegung oder das neue Qualitätsbewusstsein vor und hinter der Theke.

Am offensichtlichsten merkt man das, wenn man alte Cocktailrezepte liest. Da tauchen gern Spirituosennamen auf, bei denen selbst der erfahrenste Mixologe hin und wieder stockt, weil sie heutzutage praktisch unbekannt sind. Spirituosen steigen in der Beliebtheit oft plötzlich, und sterben dann wieder aus, meist nur einzelne Marken innerhalb einer Sorte, hin und wieder aber auch die ganze Sorte – wie geschehen beim Old Tom Gin, der vom London Dry Gin völlig weggefegt wurde.

Um so erfreulicher ist, dass der Wandel eben nicht nur solche katastrophalen Schnapskataklysmen mit sich bringt, sondern sie auch wieder behebt: Das Interesse an Gin im neuen Gincraze des 21. Jahrhunderts sorgt dafür, dass auch die schon totgeglaubten Ginsorten wie Plymouth Gin und eben der Old Tom Gin wieder auferstehen. Die erfahrenen Ginbrenner von Hayman’s haben sich 2007 des letzteren erbarmt, einige Hersteller folgten ihnen, und so finden wir heute Old Tom Gin wieder in den Spirituosenregalen der Welt, wie den Hayman’s Old Tom Gin.

Hayman's Old Tom Gin

Was ist der Unterschied zwischen London Dry Gin und Old Tom Gin? Die Farbe ist es offensichtlich schonmal nicht, denn auch der Hayman’s Old Tom Gin kommt völlig transparent daher, unterscheidet sich auch in der Viskosität kaum von anderen, modernen London Dry Gins. Er könnte sich nicht Gin nennen, wäre nicht auch der Geruch sehr stark von Wacholder direkt im Vordergrund geprägt. Aber schon gleich ist die Nase begleitet von einer Reinigungsbenzinsnote, Zitrone und einer deutlich floralen Komponente, nach Lavendel. Und, so meine ich, man erkennt nun einen ersten Unterschied: da ist etwas süßliches im Geruch vorhanden.

Der erste Schluck wischt dann die Zweifel, ob es sich hier wirklich nicht nur um eine Unterart des London Dry Gin handelt, weg: Der Geschmack ist sehr süß, da ist viel Kandiszucker, etwas Orange, etwas Kräuter, und die Gin-„Botanicals“, die man heute in unendlicher Menge findet, ganz dezent im Hintergrund. Ein Tick Anis komplettiert das Geschmacksbild.

Der Abgang des Hayman’s schließlich ist warm und mild, auf der Zunge etwas brennend, trotz der Süße recht trocken, und sehr kurz. Er hinterlässt ein leichtes Brummen im Mundraum.

Die Unterschiede zwischen Old Tom und London Dry sind schon klar erkennbar, auch wenn sich die Differenzen meines Erachtens zumindest beim Hayman’s hauptsächlich auf die Süße beziehen. Braucht der interessierte Heimbarkeeper diese Sorte Gin? Es kommt drauf an. Ein wahrer Ginaficionado sollte sein Ginrack ganz sicher mit einem Old Tom Gin anreichern, allein schon der Geschmacksweiterbildung wegen; und der auf echte Authentizität von Rezepten bestehende Mixologe natürlich auch. Wer aber nicht zu diesen Gruppen gehört, kann sich statt der (mäßig teuren) Investition auch mit der Kombination London Dry Gin plus etwas Zuckersirup behelfen, wenn man auf eine entsprechende Angabe in einem Cocktailrezept stößt.

Der Cocktail, für den ich mir fast schon exklusiv diese Flasche einer Randspirituose zugelegt hatte, ist der Martinez, ein uralter Klassiker, den schon Jerry Thomas in seinem Buch aufgeführt hatte. Die Wandlungen, die für Spirituosensorten gelten, gelten auch für Cocktailrezepte, und auch der Martinez wird heute in unterschiedlichen Rezepturen, die meist das Verhältnis zwischen Old Tom Gin und Wermut variieren, angeboten. Ich bevorzuge das Mischverhältnis aus O.H. Byron’s Vorschlag von 1884: Eins zu eins.

Martinez


Martinez
1½ oz Hayman’s Old Tom Gin
1½ oz Süßer Wermut (z.B. Carpano Antica Formula)
⅓ oz Maraschino-Likör
2 Spritzer Orangenbitter
[Rezept nach O.H. Byron]


Vom Design her gefällt der Hayman’s Old Tom Gin durch das Retrodesign. Die Flasche hat eine interessante, eckige Form, mit viel Text direkt im Glas eingelassen (sowas liebe ich ja), und einem an die alte Zeit des ersten Gincraze erinnernden Etikett. Was hat die Katze damit zu tun? „Old Tom“ ist ein Spitzname für eine schwarze Katze (auch die Brauerei, die das Old Tom Strong Ale herstellt, hat einen Old Tom as Maskottchen), und diese war damals auf der Verkleidung einer Apparatur abgebildet, durch die man per Münzeinwurf von der Straße aus sich eine Dosis Gin abfüllen lassen konnte, ohne eine Kneipe betreten zu müssen.

Nun, um den Bogen zurück zum Thema „Wandel“ zu schließen: heute hat Gin ein anderes Standing als damals, und wir müssen nicht mehr in den Untergrund, um guten Gin zu genießen – der Wandel bringt also wirklich hin und wieder Verbesserungen mit sich.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..