Es gibt verschiedene Arten von Trinkern. Einerseits die, die selbst wissen, was sie im Glas haben wollen, und andererseits die, die selbst meist wenig Erfahrung mit oder Interesse an alkoholischen Mischgetränken haben und sich deshalb von anderen dazu inspirieren lassen. Letztere Gruppe ist der Grund für den Erfolg von Modedrinks. Einer der ersten fashionablen Longdrinks, der bis heute unzertrennlich mit dem blinden Folgen eines Trends in der High Society verbunden ist, ist der Kir Royal, der dann sogar seinen Namen einer der besten deutschen Fernsehproduktionen aller Zeiten geben durfte.
Später ging es andersherum: Die telegenen Damen um Carrie Bradshaw sorgten im echten Leben für einen riesigen Hype um einen Vodka-Drink; der Cosmopolitan wurde durch die Fernsehserie ein Renner, wie man ihn in Cocktailkreisen kaum zuvor erlebt hatte, und der den davor so beliebten Caipirinha von Platz 1 der meistbestellten Partycocktails verdrängte.
Die 2010er Jahre kehrten dann wieder zurück zu den unkomplizierten Rezepturen im Sektglas: 2010 glänzte in jedem Glas der Aperol Spritz, mit seiner unverkennbaren orangenen Farbe; 2012 konnte man keine Getränkekarte eines Cafés lesen, ohne über den Hugo zu stolpern, und 2013 wurden Lillet-Longdrinks zum neuen Modedrink gekürt, nur um bald darauf vom Moscow Mule aus dem Platz im Herzen der Lemming-Trinkgemeinde (man vergebe mir diese unangebrachte Polemik) verdrängt zu werden. Viele dieser Mischgetränke wurden durch diese dann doch etwas beliebige Popularität zum Markenzeichen des von einigen elitären Barkeepern ungeschätzten „fachfremden Publikums“, und dadurch paradoxerweise bis heute zu Parias des gehobenen Barbetriebs.
Im Sommer 2015 machten schließlich gleich mehrere Bars in Saarbrücken großschildrig Werbung für den neuesten Trend: Pimm’s Cup, ein fruchtig-bittersüßes Kaltgetränk mit vielen Früchten, das optisch sehr beeindruckte, und auch geschmacklich überzeugen konnte, dank seiner Hauptzutat: Dem Kräuterbitterlikör Pimm’s No. 1. Wieder eine neue Sommersau, bereit, durchs Dorf getrieben zu werden?
Die einfach gehaltene Flasche ist transparent, man sieht also von außen schon die Farbe – selbstverständlich sorgen Farbstoffe für die dunkle Tönung. Ein dezentes, sehr klassisches Etikett zeugt von Stil und Eleganz – passend zu einem Getränk, das bald 200 Jahre auf dem Buckel hat, und schon allein deswegen natürlich keine Sommersau ist.
Wenn ich es nicht besser wüsste: In einer Blindverkostung würde ich den Pimm’s N°1 für einen Cynar, oder allgemeiner für einen Amaro halten. Sehr dunkelwürzig, mit der amarotypischen Kräuterkombination, mehr als nur ein Hauch Maggi und Curry und, wenn man sehr genau aufpasst, einen Tick der Ginbasis dieses Likörs.
Im Mund erkennt man dann, dass es kein Amaro ist – der Pimm’s ist dafür zu dünnflüssig. Auch ist er bei weitem nicht so süß wie beispielsweise ein Ramazotti oder Averna; und er hat eine deutlich alkoholischere Note als diese italienischen Bitterliköre. Das finde ich keineswegs schlecht; besonders, wenn eine Spirituose dann noch eine dermaßen kräftige Salzwürze, fast schon sojasaucenartig, mitbringt, die ordentlich Schwung in die Likörbasis bringt. Süß ist der N°1 dennoch, aber eher oberflächlich, und am Ende kommt sogar eine recht deftige 80%-Kakao-Schokolade-Bitterkeit und eine spuckeraubende Trockenheit nach. Der Nachhall ist dann wieder leicht alkoholisch.
Ganz gewiss ein Likör, den man auch auf Eis pur trinken kann, ohne an Zuckerschock zu sterben – wer allerdings als Ginfreund auf der Suche nach Ginderivaten ist und meint, hier einen Wacholderschnaps herauszuschmecken, könnte enttäuscht werden. Ich aber freue mich auf eine sehr spannende Cocktailzutat, auch in Rezepturen abseits des oben angesprochenen Mode-Longdrinks mit Früchten und Limonade oder Ginger Ale als Pimm’s Cup.
Persönlich trinke ich ihn am liebsten in einem Drink, den mir Michael Arnold, ein hervorragender saarländischer Bartender, an einem verregneten Herbstabend vorgestellt hatte: der Arnold N°1 – eine Aromabombe, bei der man gar nicht weiß, wohin man zuerst schmecken soll, mit einer fantastischen Konsistenz durch viel gemuddeltes Gemüse und Obst und das schaumerzeugende Eiweiß. Der ist am Ende sogar noch gesund!
Arnold N°1
Je ein Stück Apfel, Ingwer und Gurke im Shakerglas muddeln
1 oz Pimm’s No. 1
2 oz Gin (z.B. The Botanist Islay Dry Gin)
1 oz Zitronensaft
¾ oz Zuckersirup
¾ oz Cranberrysaft
1 Eiweiß vom kleinen Bio-Ei
[Rezept nach Michael Arnold]
Man würde es diesem feinen, respektabel alten Kräuterlikör wünschen, dass er auch über die Modewelle hinaus eine Chance bei den Biergärtensitzern und Innenstadtcafé-Flaneuren bekäme, statt 2016 durch die nächste Schickeria-Spirituose abgelöst zu werden. Allein, mir fehlt der Glaube an die Konstanz der In-Drink-Trinker – so bleibt es an uns, den wahren Genießern, dafür zu sorgen, dass Pimm’s No. 1 auch dann noch als spannendes Getränk und interessante Cocktailzutat hochgehalten wird, wenn die Karawane weitergezogen ist.