Der Philosoph Diogenes ist heute noch hauptsächlich dafür bekannt, dass er in einem Fass wohnte. Wir können ausschließen, dass es ein ausgebranntes Fass aus amerikanischer Weißeiche war, und auch leicht getoastete französische Limousineiche würde ich anzweifeln. Statt diesen beiden beliebtesten modernen Arten von Spirituosenholzfässern war es wohl eher eine Art Tongefäß, also nichts, in dem wir heutzutage unsere Spirituosen lagern würden, zumindest nicht, wenn wir uns eine Reifung und Aromatisierung davon versprechen.

Ab und an, in den letzten Jahrzehnten immer häufiger, passiert es dennoch auch heute noch, dass so ein Fass, das bereits ein Destillat enthalten hatte, einen neuen Bewohner bekommt – nicht einen griechischen Philosophen, sondern eine andere Spirituose. Gern nutzen schottische Whiskyhersteller inzwischen abgelegte Madeira-, Port- oder Sherryfässer, um dem Whisky ein oder zwei Jährchen zusätzlich zur normalen Fassreifung darin zu gönnen und ihm dadurch einen besonderen „finish“ zu verpassen; auf italienisch sagt man dann zu diesem Vorgehen „affinata“, und auch Grappa darf sich auf eine Verfeinerung in einem vorbewohnten Fass freuen, im Falle des Sibona Grappa Riserva affinata in Botti da Tennessee Whiskey, alternativ anglisiert Tennessee Whiskey Wood Finish, natürlich, wie der Name schon ankündigt, einem Ex-Whiskeybehältnis.
Welcher Tennessee Whiskey könnte das sein, der für den Grappa Sibona die Fässer liefert? Soviele Hersteller dieses Produkts gibt es nicht, und sie müssen genug Fässer befüllt haben, damit es sich lohnt, diese zu exportieren. Wahrscheinlich sind es entweder Jack Daniel’s– oder George-Dickel-Fässer; da erstere einst auch schon kubanischem Rum eine neue Heimat boten, würde ich darauf tippen.
Wie lange dauerte dieser Finish? Die Bezeichnung Riserva, die dieser Grappa trägt, sagt aus, dass der Grappa mindestens 18 Monate in Holz gereift ist, über die Zusatzbezeichnung affinata ist in der italienischen Wiki zu lesen: „Termini come ‚affinata‘ o ‚barricata‘ non danno nessuna indicazione del tempo di giacenza nei legni (…)“ – es würde also wohl schon reichen, den Grappa einige Minuten im Tennessee-Whiskey-Fass zwischenzulagern. Die Herstellerseite spricht aber von „weiteren Monaten“ in den Whiskeyfässern; manche Verkäufer in ihrem verkaufsorientierten Optimismus sogar von 2 Jahren. Nichts genaues weiß man nicht, wie so oft.
Ich trinke gern chinesischen Oolong-Tee, und ganz besonders die edle Sorte Da Hong Pao. Wer schonmal diesen Tee gerochen hat, weiß, wovon ich nun rede: Bei diesem Grappa meint man, einen guten Schuss des Da Hong Pao mit im Glas zu haben. Eine sehr starke Malzigkeit, sehr an halboxidierten Grüntee erinnernd, eine grasige Komponente.
Das setzt sich auch am Gaumen fort: Stark holzig, sehr entfernt etwas fruchtig und schokoladig, auf jeden Fall süß ist der Sibona Grappa Riserva „Tennessee Whiskey Wood Finish“, ein Eindruck vom Whiskey (mehr aber auch nicht) ist auch tatsächlich vorhanden. Leicht scharf brennt der Grappa auf der Zunge, und bleibt auch warm im Abgang, nach dem er Trockenheit im Mund zurücklässt.
Manchmal liegt eine Spirituose zu lang im Fass und wird dadurch bitter, holzig, tanninig. Dieser Grappa ist für meinen persönlichen Geschmack kurz davor, zu dieser Gruppe zu gehören. Arg viel mehr Holz will ich in einem Grappa nicht mehr schmecken müssen; hier ist es aber noch gut gegangen und macht die Spirituose sehr spannend für mich.
Ein anderes Thema – Cocktails. Schwieriges Thema bei Grappa. Warum? Auch wenn es Hersteller und Grappafreunde nicht gern hören, für die Bar ist Grappa ein „low-profile spirit“, der erst noch in der Barwelt ankommen muss. Whiskey wird seit es Cocktails gibt darin verwendet, Brandy und Rum ebenso, doch Grappa ist der Neuling, der zwar schon genausolang gern pur als Digestif getrunken wird, aber als Cocktailzutat sich seine Sporen erst noch verdienen muss. Ich wünsche ihm, dass er seinen italienischen Vorbildern Wermut, Maraschino und Campari nachfolgen kann. Bis dahin greife ich auf Empfehlungen der Grappahersteller zurück, auf einer deren Seiten ich das Rezept für den Moscato finden konnte.
Moscato
4 Weinbeeren und 4 Limettenscheiben in einem Glas muddeln
1½ oz Sibona Grappa Riserva „Tennessee Whiskey Wood Finish“
½ oz Zuckersirup
mit Eis auffüllen
Die Präsentation punktet mit einem durchdachten, durchgängigen Design; die Flasche mit Skala auf der Seite und kleiner Ausgusslippe erinnert an ein ausrangiertes Labor- oder Apothekerfläschchen. Ein Plastikkorken verschließt dieses; zu kaufen erhält man es in einer schönen Kartondose in ähnlicher Farbe des Grappas. Ideal als Geschenk für Spirituosenfreunde geeignet.
Vom selben Hersteller gibt es auch gereifte Grappas mit Sherry-, Porto- und Madeirafinish. Ich werde mich nur mit Mühe davon abhalten können, mir diese auch noch zuzulegen, wenn das Fläschchen mit Whiskeyfinish aufgebraucht ist; bei zirka 23€ pro halbem Liter wäre der finanzielle Ruin gerade noch aufgeschoben, insbesondere, da man ja auch wirklich eine qualitativ und geschmacklich hochwertige Gegenleistung bekommt.
Wer sich an den gestrigen Tag erinnern kann, der hat ihn nicht erlebt.
Frei nach „Wer sich an die 80er erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.“ – Zitat vom Cover der Platte – „Falco meets Amadeus“.
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Hallo!
Allein über den Blognamen musste ich ja schon sehr schmunzeln! ;) Aber im Ernst: super Artikel, sehr sehr spannend! Besonders das mit den Cocktails fand ich sehr interessant. Werde ich auf jeden Fall auch mal ausprobieren!
Bezüglich des richtigen Trinkens von Grappa & der Glasform kann ich dir auch folgenden Artikel noch ans Herz legen: http://italienischer-grappa.com/wie-trinkt-man-grappa-grappa-trinktemperatur/
Danke und Prost,
Esther