Der Ginhype nimmt nicht ab und zeigt sich damit langlebiger, als ich es vermutet hätte, und er zieht seine Kraft aus untypischen Spirituosenkunden. Neulich erst sah ich zwei junge Damen in einer Cocktailbar sitzen und sich Gin & Tonic bestellen. Das Angebot an Gins ist inzwischen völlig unüberschaubar, und die Bars sind bereit, immer noch eine weitere Sorte mit ins Angebot aufzunehmen.
Besonders spannend dabei ist, dass sich die Beliebtheit des Gins aktuell dabei aber fast ausschließlich auf den Gintyp des London Dry Gin konzentriert, der den Begriff des Gin für heutige Geschmäcker definiert. Old Tom Gin oder Plymouth Gin sind nur winzige Randerscheinungen, und der Urtyp dieser aromatisierten Spirituose, der Genever, ist dann nur noch den absoluten Spezialisten ein Begriff, und sogar dort besteht manchmal Erklärungsbedarf: Selbst Ted Haigh nennt ihn in seinem Buch eine „uncommon ingredient“.
Dabei war es einst anders: Alte Cocktailbücher von vor 1900, wie das von Jerry Thomas, meinen tatsächlich in der Regel Genever, wenn sie Gin in den Rezepten verwenden; hin und wieder unter der alternativen Schreibweise Jenever oder dem Begriff Holland(s) Gin, der schon die Herkunft dieser Spirituose andeutet – Genever wurde wohl schon im 17. Jahrhundert in Holland destilliert. Um so mehr freute ich mich voller Interesse auf die erste Öffnung der relativ günstig erstandenen Halbliterflasche des Zuidam Zeer Oude Genever.
Die helle, pastellgoldene Farbe zeugt schonmal vom Unterschied zum Standardgin, der in 99% der Fälle klar daherkommt – der Namensbestandteil zeer oude, holländisch für „sehr alt“, deutet auf erstens darauf hin, dass mehr Malz als beim jonge (jungen) Genever enthalten ist, und dass er eventuell noch gereift ist. Auf dem holländischen Etikett dieses speziellen Produkts finde ich, im Gegensatz zu anderen Genevers dieses Herstellers, keinen echten Hinweis auf Alterungsmethoden – „ambachtelijk gestookt“ bedeutet wohl nur „traditionell gebrannt“, wenn mich Google Translate nicht in die Irre führt.
Ich entdecke einen Geruch nach Lakritz, Fenchel und Malz – für mich erstmal nicht sehr attraktiv für eine Spirituose. Sehr süß und malzig ist dieser Genever im Mund, Kandiszucker, Karamell, dann auch die gerochene Lakritze und Süßholz, etwas Menthol, im Abgang eine nicht zu vernachlässigende Alkoholnote: Sehr wärmend, aber geschmacklich sehr kurz und dünn. Für mich geht das schon mehr in Richtung Kornbrand, oder einem dünnen Whisky, auf jeden Fall völlig anders als London Dry Gin.
Verpackt ist der Genever von Zuidam in einer hübsch gestaltete Flasche mit dem textlastigen Etikett im Urkundenstil, und einem Bändchen um den Hals, das mit Plastiksiegel befestigt ist.
Ein guter Signaturcocktail für Genever ist einer, den schon Ernest Hemingway gern trank: Der Death in the Gulf Stream. Serviert in einem geeisten Glas ergänzen sich die Malzigkeit des Genever mit der frischen Spritzigkeit der Limette wunderbar zu einem herrlichen Sommercocktail, den man an einem heißen Tag langsam vor sich hin schlürfen kann.
Death in the Gulf Stream
3 oz Zuidam Zeer Oude Genever
1 Teelöffel Zuckersirup
2 Spritzer Angostura
1 Teelöffel Limettensaft
Die Schale einer unbehandelten Limette
Nun, ich bin, wie schön öfters gesagt, kein Gin-Fan, und ich nun, nach der ersten Flasche Genever, auch kein wirklicher Genever-Fan. Man sollte sich aber nicht, nur weil einem eine bestimmte Sorte Genever nicht geschmeckt hat, gleich von der ganzen Gruppe von Spirituosen abwenden. Andere Marken, andere Reifungsgrade gilt es zumindest ansatzweise anzutesten, bevor man sich ein endgültiges Urteil bilden darf. Ein Jonge oder Oude Genever beispielsweise, oder ein 5 Jahre gereifter; eventuell ein Single Barrel Genever.
Völlig unabhängig von meinem persönlichen Geschmacksempfinden: Es wäre schön, wenn diese Randspirituosen auch etwas von dem Gincraze profitieren und sich aus der Vergessenheit befreien könnten. Ein echter Ginfreund wird daher auch mal über den Rand des London-Dry-Gin-Tellers schauen!
2 Kommentare zu „Eine alte, aber ehrliche Haut – Zuidam Zeer Oude Genever“