Geheimnisse! Sie sind heutzutage immer seltener geworden. Ich erinnere mich noch an die Zeit, in der jedes Detail aufwändig zu recherchieren war, viele Informationen nur aus erster Hand zu bekommen waren und man erstmal die Experten kennenlernen musste, um überhaupt etwas zu lernen; darüber habe ich mich auch in einem interessanten Gespräch mit Jürgen Deibel auf unserer gemeinsamen Chinareise angeregt unterhalten. Einer der Gründe, warum ich meinen Blog überhaupt begonnen hatte, war es, aufzuklären und ein paar der Geheimnisse zu lüften, insbesondere für die Leserschaft aus Deutschland, für die es doppelt schwer war. Diese Zeiten sind vorbei, einerseits finde ich das gut, denn der, der heute in Spirituosen einsteigen will, hat es ungleich leichter und kann sich auf eine Vielzahl von Informationen stürzen, soviel, dass man inzwischen den Überblick verliert und erstmal herausfinden muss, was gute und was schlechte Datenquellen sind. Andererseits empfinde ich auch etwas Nostalgie zurück auf die Zeit, in der man voller Entdeckergeist nach Indiana-Jones-Manier unterwegs war. Ich denke, beides hat 2024 noch Berechtigung.
Insofern ist es nur ein kleineres Problem, wenn auf einer Spirituosenflasche aktuell „secret distillery“ steht. Der Grund ist klar, Brennereien wollen nicht unbedingt sofort mit einem Produkt in Zusammenhang gebracht werden, über das sie nicht direkte Kontrolle haben. Im Fall der vorliegenden Marke handelt es sich um frische Brände der Brennereien Hampden und Worthy Park, dazu benötigt es nur Minuten der Internetrecherche. Der unabhängige Abfüller Wagemut (ich denke einfach mal, Nicolas Kröger persönlich) kauft für den Wagemut The Spirit Traveller 01 Jamaican Rum dort Melassedestillate ein, gebrannt in einer Potstill, und verarbeitet sie selbst weiter, in diesem Fall landet alles für 17 Monate in Norddeutschland in first-fill-Rotweinfässern aus französischer Eiche, die zuvor Hillinger–Zweigelt enthalten hatten. Zwischen März 2023 und August 2024 entspannt sich die Befüllung, wird dann limitiert auf 1347 Flaschen gezogen. Abgefüllt in Fassstärke (64,3%), ohne Zuckerbeigabe, Färbung oder Filtration: das sind Fakten, wie ich sie mag. „>1200gr/HLPA Ester“ ist eine Angabe, die dem Kenner gefällt, auch dies sind Dinge, die man vor 10 Jahren nur mit Mühe erfahren hätte, heute gehören sie zum guten Ton in der Branche. Genug der Nostalgie und Details, hinein ins Glas.
Die Farbe ist durchaus erstmal ungewöhnlich und zeigt den klaren Einfluss der Rotweinfässer. Ein helles Rostbraun, mit klarer Tendenz zum Orange, insbesondere im Gegenlicht, hin und wieder auch mit Ähnlichkeit zu einem Rosé. Die Spirituose bewegt sich leicht und lebendig im Glas und hinterlässt dabei deutliche Beinchen.
Die theoretisch hohe Esterzahl des The Spirit Traveller 01 bestätigt sich praktisch im Geruch. Die volle Fruchtattacke geht in die Nase, reife Banane, überreife Ananas, frische Mango. Darunter finde ich leicht laktische Noten, erinnernd etwas an milden Käse oder Joghurt. Kokosfleisch, ein Hauch von Ledrigkeit, etwas Kirsche, etwas Nelken. Insgesamt süßlich und feinaromatisch, gar nicht so wild, wie man das von manchen Produkten dieses Stils gewohnt ist; die kurze Fassreifung hat dem Destillat doch etwas den spitzen Zahn gezogen und es gerundet. Nur wenn man wirklich tief schnuppert, entdeckt man den leicht lackigen Ton, der der Fassstärke und der Jugendlichkeit geschuldet sind.
Beim Antrunk spürt man diesen seltsamen Effekt, den ich bei Spirituosen hin und wieder finde – so ein „körniges“, elektrisches Prickelgefühl, das sich sehr schwer in Worten beschreiben lässt, ganz entfernt irgendwie verwandt mit dem Effekt von Brausepulver oder Parakresse. Dazu passt die leichte, luftige Textur, die ohne jede Schwere daherkommt, und dafür sorgt, dass die natürliche, leicht süßholzige Süße nur unterschwellig wahrnehmbar ist. Das Mundgefühl wechselt nach dem initialen Effekt hin zum wohlig warmen, keine Hitze entsteht trotz des hohen Alkoholgehalts. Leicht kantig bleibt es, das bei dieser Art Rum kein Fehler, und der Brand verlässt uns mit einem eukalyptisch kühlen Hauch, der einige Minuten verbleibt und bis tief in die Speiseröhre wirkt.
Ja, hier spürt man den Einfluss der Fassauswahl. Die Ester sind vorhanden, aber gezähmt, die Vorbelegung macht sich in zusätzlicher Fruchtigkeit und leichter Herbe bemerkbar. Ich habe oft ein paar Schwierigkeiten mit superexpressiven Hochesterspirituosen, beim The Spirit Traveller 01 wird das ganze trinkig und einfacher gemacht, ohne an Charakter zu verlieren. Sehr hübsch, für meinen Geschmack dürfte noch ein bisschen Fasszeit dazu kommen, doch das ist ein persönlicher Wunsch.
Für den Legends of the Hidden Temple verlangt das Rezept nach zwei Sorten Rum; einer mit Hibiskus aromatisiert, was leicht zuhause selbst herstellbar ist, und ein leicht gereifter Jamaikaner, was mich natürlich sofort an den Spirit Traveller Jamaican Rum denken ließ. Gerade die Esterigkeit und freche Jugendlichkeit sorgen für ordentlich Kasalla in diesem Tiki-Cocktail; da spürt man was im Mund!
Legends of the Hidden Temple
1½oz / 45ml mit Hibiskus infundierter leicht gereifter Rum
1½oz / 45ml leicht gereifter Jamaica-Rum
¾oz / 23ml Falernum
¾oz / 23ml Orgeat
1¼oz / 37ml Limettensaft
Auf Crushed Ice shaken. Dirty dump, mit weiterem Crushed ice toppen.
¾oz / 23ml „dark“ Rum floaten.
[Rezept nach Brian Maxwell]
Ich lobe schonmal uneingeschränkt das Rücketikett, das klar lesbar alle Details, die den modernen Spirituosennerd interessieren, auflistet. Das Design hat auch was sehr angenehmes an sich, nicht überladen, und mit einer netten Selbstironie, in der sich der Kopf hinter der Abfüllung selbst unter einer Palme präsentiert. Die Flasche selbst ist passend dazu unaufgeregt und liegt in ihrer Schwere gut in der Hand.
Ohne es groß zu wissen, aber die Nummer „01“ auf dem Etikett deutet für mich auf Folgeabfüllungen hin, der sehr rührige Kröger hat diesbezüglich eine Energie, um die ich ihn ehrlich beneide. Spannend sind seine Experimente immer, und darum freue ich mich, was er als nächstes im Ärmel hat. Und mit den Details, die immer angibt, wird es immer weniger nötig sein, auf große Geheimnisentdeckung zu gehen. Was auch immer das bedeuten mag für die Zukunft.
Offenlegung: Ich danke Wagemut für die kosten- und bedingungslose Zusendung einer Flasche dieses Rums.


