Baum, Gras und Wurzel – Lechtaler Haussegen Zirben, Bergheu und Meisterwurz

Lechtaler Haussegen Meisterwurz, Bergheu und Zirben Titel

Auch wenn in Deutschland die Brennkultur genauso traditionell verhaftet ist wie in Österreich, ist mir erst durch unseren südlichen Nachbarn so richtig klar geworden, wie gut traditionell gemachte Brände abseits von Rum, Whisky und Tequila sind. Regionale Zutaten, verarbeitet von handwerklich hervorragend ausgebildeten und engagierten Brennern, meist in kleinen, familiären Betrieben – sowas liebe ich inzwischen mit ganzem Herzen, es ist das völlige Kontrastprogramm zu den massenaustoßenden Großbetrieben, mit denen man als Spirituosenjournalist natürlich auch immer zu tun hat. Beim Lechtaler Haussegen in Elbigenalp, in der Mitte des Lechtals in Tirol, versucht man entsprechend, die Aromen der Natur, die die Brennerei direkt umgibt, in Flaschen abzufüllen. Heute stelle ich drei Produkte der Brennerei vor: Lechtaler Haussegen Zirben, Bergheu und Meisterwurz.

Spannend ist hier die Herstellung, da viele der Basismaterialien der drei Spirituosen nicht auch nur ansatzweise genug natürlichen Zuckeranteil haben, um daraus einen Brand herzustellen – hier kommt der hin und wieder völlig zu unrecht als minderwertiger angesehene Bruder des Brands, der Geist, ins Spiel. Die zuckerarmen Zutaten wie Heu und Zirbenholz werden mit Obst-Basisbränden vergeistet und geben dabei ihre wundervollen, dichten Aromen ab. Ein gut gemachter Geist ist für mich eine spannende Spirituose! Genug des Theoretisierens, wir gehen jetzt direkt mit diesen drei Spirituosen auf eine Wandertour durch die österreichische Bergwelt und lassen unseren Blick über alles, was da so wächst, schweifen: vom Baum zum Gras zur Wurzel.

Lechtaler Haussegen Meisterwurz, Bergheu und Zirben

Ich mag Zirbenholz sehr, immer, wenn ich irgendwo in Österreich unterwegs bin, begegnet einem dieses Holz, sei es in der Auskleidung der Hotelzimmer, in den überall vorhandenen Holzverarbeitungsanlagen oder in den Dekosouvenirs, die man von dort mitbringen kann. Der Zirbenholzgeist vom Lechtaler Haussegen ist darum ein höchst willkommener Gast in meiner Heimbar. Die Herstellungsweise ist anders als bei vielen verwandten Produkten, die Zirbenzapfen extrahieren – hier wird ein Geist aus dem geschnittenen Holz gemacht. Und schon beim Eingießen verbreitet sich entsprechend dieser herbstaubige Geruch des Zirbenholzes um das Glas herum, beim Schwenken der kristallklaren Flüssigkeit verstärkt sich das noch, ein halber Meter Abstand ist nötig, um den Geruch nicht mehr wahrzunehmen. Schnuppert man tiefer, ist das fast schon extrem: eine perfekte 1:1-Abbildung eines Stücks Holz, mit den Spänen und sogar dem Staub, der beim Sägen entsteht, mit viel ätherischem Öl, als würde man sich in einer Schreinerei befinden. Unglaublich und begeisternd, ich hatte mir ja vor ein paar Jahren ein Zirben-Duftspray fürs Kopfkissen gekauft, das riecht bei weitem nicht so intensiv nach Zirbenholz wie dieser Geist hier. Allein für den Duft liebe ich diese Spirituose bereits heiß und innig.

Lechtaler Haussegen Zirben

Und das verrückteste daran ist: hier kann man das ganze auch schmecken. Man stelle sich vor, man hat ein frisch geschnittenes Stück glatt gehobeltes Stück Zirbenholz vor sich, und schleckt dann mit der Zunge darüber. Das ist der Eindruck, den man von diesem Geist bekommt. Man kennt ja vielleicht diese Zirbenholzkugeln, die man auf Wasserkaraffen legen kann, die dann das Wasser ganz vorsichtig aromatisieren; wer eine hat, probiere mal aus, sie abzulecken, dann bekommt man eine Vorstellung davon, wie dieser Geist schmeckt. Es kommen noch im Nachklang vorsichtige Harznoten dazu, ein bisschen Fichtennadelaroma, das ergänzt sich wunderbar. All dem zugrunde liegt eine schwere, natürliche Fruchtsüße, und breite Textur, die den Gaumen ausfüllt, bis im Abgang ein dezentes Zirpen die Zungenspitze warmhält und den Mundraum lange belegt.

Einzigartig, fantastisch. Kreativität und handwerkliche Tradition spielen zusammen, um eine der für meinen Geschmack expressivsten Spirituosen zu erschaffen, die ich seit langer Zeit im Mund hatte: Ein alpiner Bergwald im Glas.


Vom Baum zur niedriger wachsenden Vegetation: Heugeiste sind gefühlt sehr beliebt in letzter Zeit, ich habe mindestens drei Varianten davon zuhause, aus Österreich, Südtirol und Deutschland. Das Original Lechtaler Bergheu zeigt sich glasklar im Verkostungsglas und schwenkt sich ordentlich viskos, dabei bleibt eine schöne, sich langsam ausfransende Ölkante an der Glaswand, und darunter dann ein Gefängnisgitter aus Beinchen.

Der Geruch erklärt einem eigentlich sofort, warum diese Heugeiste so beliebt sind, da fühlt man sich ohne Umschweife auf eine gemähte Wiese versetzt, nicht frisch gemäht, und ohne die Grasigkeit eines grünen Rasens, sondern eine Weide, schon leicht von der Sonne ausgetrocknet, mit Staub in der Luft, wenn man über sie geht, und den vielen kleinen Fliegen, die sich darauf tummeln. Man spürt das leichte Knirschen der trockenen, langen, braungelben Halme, riecht die vereinzelten Kornblumen, Kamille und schwarzen Tee. Dazu wirkt das Lechtaler Bergheu voll und dicht, mit durchaus auch einer gewissen, schweren, süßen Fruchtigkeit, wie in saftigen, roten Äpfeln, kandierten Pfirsichen oder sogar Mango. Urlaub in Österreich für die Nase! Bei der Dichte wird der Geist nicht stumpf, bleibt frisch und hell, ein bisschen Ethanol piekst zwar beim tiefen Schnuppern, dieses sorgt aber auch für die aufklärende Frische.

Lechtaler Haussegen Bergheu

Im Mund spürt man diese zwei Teile separat voneinander – es beginnt mit den milden Äpfeln und kandierten Pfirsichen, vermischt mit etwas Birne und Marille, eine volle Fruchtdosis, die durch die britzelnde Alkoholkante den Gaumen nicht belegt, sondern mit leichtem Kitzeln klärt. Die Textur ist weich, voll, dabei luftig und sauber. Erst im Abgang geht das dann ins namensgebende Heu über, dann aber so richtig, hier wirkt der Geist grasig, heuig, und weist eine sehr prickelnde Weißpfeffrigkeit auf, die ich nicht den 42% Alkoholgehalt zuschreibe, sondern einer wuchtigen Würze. Auch der Rachen wird beim Schlucken leicht gereizt, auf eine sehr angenehme Weise, ohne wirkliches Kratzen, während die Zunge in kaltem Feuer sehr lange glüht, und dabei leicht mentholische Effekte zeigt. Der Nachhall ist dann endgültig wieder die gerochene Bergweide im Spätsommer, mit all den Komponenten, die man daran liebt – und das bleibt dann eine richtig lange Weile bei uns, bis die Zunge gemächlich abkühlt.

Komplex, dicht und voller Eindrücke, gleichzeitig mit Kraft und Power versehen, da wird der Gaumen freigemacht und parallel mit Aromen bombardiert. Das ist wirklich gut gemacht, kein gemütlicher Absacker nach dem Essen, mehr vielleicht als ein Begleiter für einen Zwischengang nach dem Vorbild eines trou normand, oder zu einem grünen Salat mit Blüten und Kürbiskernöl.


Für den dritten Vertreter müssen wir nun sogar graben – der Lechtaler Haussegen Meisterwurz hat als prominente und namensgebende Zutat die Wurzeln der Pflanze, die sich in den österreichischen Bergregionen sehr wohl fühlt: Die Meisterwurz eben. Erneut sind wir bei einer ungereiften Spirituose ohne jede Färbung oder Einschlüsse, die sich an der Glaswand ölig und schlierig zeigt.

Ein verwandter Brand ist der Enzian, und hier erkennt man, schnuppert man am Meisterwurzbrand, tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit. Grün und erdig zugleich, mit einer erkennbaren Kiesigkeit, die an nassen Beton erinnert, aber nicht ganz so stark wie bei einem Enzian. Die Wurzeligkeit ist ausgeprägt, feuchte Erde, Liebstöckel und eine ganz dezente Heidekrautnote mit leichter Floralität, mehr von Lavendel als von Rosen, steigt schnell auf. Man findet auch etwas Obst darin, Quitte vielleicht, und eine milde Apfelkomponente. Der Alkohol gibt einen mentholischen Hauch dazu, und begleitet wird das von etwas Harz. Ein klarer, sehr strukturierter Duft, mit viel Komplexität.

Lechtaler Haussegen Meisterwurz

Initial spürt man aber erstmal eine kräftige, natürliche Süße, die im Verlauf vorhanden bleibt und erst ganz am Schluss in Trockenheit übergeht. Zusammen damit nimmt man zunächst die fruchtige Seite des Brands wahr, ohne dass eine spezielle Einzelfrucht erkennbar wird. Die Textur ist hier bereits sehr dicht und breit, legt sich am gesamten Gaumen ab und bringt ihn dabei zum Brummen, mehr wie von einer Hummel als von einer Wespe. Deutliche Noten von schwarzem Pfeffer bilden sich heraus, und dann kommt die Wurzel selbst, mit schöner Erdigkeit und einer frischen Eukalyptus-Seite, die mich an Latschenkiefer erinnert. Im Abgang betont sich die Meisterwurz nochmal, es entsteht fast feurige Wärme im Rachen, die von dort aus in den Magen und in den Mundraum ausstrahlt. Pfefferminzig frisch klingt der Brand dann sehr langsam aus, mit angenehmer Trockenheit, Würze und Frische, bevor ganz am Ende die Meisterwurz endgültig ankommt und lange verbleibt.

Ich mag Spirituosen, die mich überraschen, und beim Meisterwurz vom Lechtaler Haussegen schafft das mit seiner interessanten Kombination von Frucht und Wurzel. Das schöne daran ist eben, dass man so etwas sowohl als Digestif als auch einfach so für Zwischendurch trinken kann.


Für das nun wie immer folgende Cocktailrezept habe ich entschieden, den Zirbenholzgeist einzusetzen. Hier musste ich etwas kreativer werden als sonst, denn auch nach ausführlicher Recherche habe ich kein bereits fertiges Rezept gefunden, das diesem Brand gerecht werden würde. Der alte Holzmichl stellt ihn in den Vordergrund, füttert etwas Apfelfeuer dazu (Jersey Lightning von Laird’s ist perfekt dafür) und das Elixir d’Anvers bringt den Touch von süßer Herbalität als Ausgleich. Und optisch sieht er dann sogar aus wie ein Stück Holz!

Der alte Holzmichl Cocktail

Der alte Holzmichl
1oz / 30ml Zirbenholz-Spirituose
1oz / 30ml klarer Apfelbrand
¾oz / 23ml süßer, weißer Wermut
¼oz / 7ml Elixir d’Anvers
1 Spritzer Angostura Bitters
Auf Eis rühren. Auf frisches Eis abseihen.

[Rezept nach Helmut Barro]


Es scheint eine alte Tradition zu sein, dass Obstbrände gern in langen, hohen Flaschen abgefüllt wird, das sehe ich überall. Ich persönlich bin kein großer Fan davon, die sind manchmal beim Eingießen ein bisschen mit Vorsicht zu handhaben, da schwappt schnell mehr ins Glas, als man eigentlich will, und in einem Spirituosenregal wie bei mir passen die nur gerade so rein, von der Höhe her. Nun, immerhin sind sie sehr reduktionistisch gestaltet und machen was her, ich würde mir aber gerade bei so komplex hergestellten Bränden ein paar Informationen zum Beispiel auf einem Rücketikett wünschen. Geliefert wurden die drei Flaschen eingewickelt in mehrere Lagen angenehmen, leicht durchscheinenden Papiers, das dann noch ein paar kleine Anekdoten erzählt.

Ein kleines Detail – eine Zirbe und Bergheu kennt man ja doch irgendwie vom Sehen, bei der Meisterwurz ist das vielleicht ein bisschen anders. Bei meinem Urlaub im Pinzgau habe ich am „Berg der Sinne“ am Asitz in Leogang, wo sich ein großer Schaukräutergarten an der Mittelstation auf 1500m befindet, auch die Meisterwurz gefunden. Es ist doch immer schön, wenn man beim Genießen der Brände auch die Basismaterialien schonmal gefühlt, gerochen und vielleicht auch geschmeckt hat. Am Asitz hat die Meisterwurz noch nicht geblüht, doch der Brand wird ja auch aus den Wurzeln gemacht, nicht den Blüten – und ausgraben wollte ich im Schaukräutergarten ja nichts. Da lasse ich dann einfach den Brand vom Lechtaler Haussegen sprechen.

Offenlegung: Ich danke Lechtaler Haussegen für die kosten- und bedingungslose Zusendung dieser drei Spirituosen, und True Spirits für die Vermittlung.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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