Zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend – Chartreuse Liqueur d’Elixir 1605

Chartreuse Liqueur d’Elixir 1605 Titel

Kein Chartreuse mehr da. Da wollte ich neulich einen Last Word oder einen Death Flip oder sowas machen, ich weiß es nicht mehr genau, und suchte in meiner sehr unstrukturierten Heimbar (ich arbeite zuhause nach dem Chaos-Prinzip, anstatt die Flaschen nach Kategorien zu sortieren) verzweifelt nach der Flasche Chartreuse. Ne, nix zu finden. Doch! Da ist sie! Und… es ist noch ein kleines Kleckerchen Rest drin, vielleicht ne viertel Unze, für die Drinks reicht das nicht. Man hörte den Schrei der Verzweiflung bis nach Saint-Pierre-de-Chartreuse, da bin ich mir sicher, die fast leere Flasche zersprang dabei in tausend Teile, und ich vergaß den halb gemixten Drink, setzte mich ins Auto und fuhr wie der Teufel zum Supermarkt, um diese entsetzliche Lücke in meiner Seele und meiner Heimbar zu schließen.

Sowas will man nicht zweimal erleben, darum habe ich, nachdem ich mir dann den Drink doch noch zuende gemixt hatte, direkt noch zwei Varianten dieses edelsten und wohlschmeckendsten aller Kräuterliköre zugelegt, und heute bespreche ich darum den Chartreuse Liqueur d’Elixir 1605. 1605 ist laut Legende, die auf dem Rücketikett erzählt wird, das Datum, an dem aus einem uralten, kryptischen Manuskript das Geheimnis des Elixiers entschlüsselt wurde, das langes Leben verleihen soll. Entsprechend hat dieser Likör zwei Bestandteile seines Namens aus dieser Legende erhalten – die Jahreszahl, und den Zusatz „Liqueur d’Elixir“. Mich als Fan muss man nicht mit Pseudomythologie ködern, ich kauf das einfach so wegen dem Geschmack, der hohe Alkoholgehalt wird eh dafür sorgen, dass das mit dem langen Leben nichts wird. Darum probieren wir den Likör jetzt einfach mal.

Chartreuse Liqueur d’Elixir 1605

Mir gefällt das Biscayagrün, das man im Glas sieht – es ist ein attraktiver Grünton, sehr pflanzlich wirkend, mit einem Touch von Gelb. Dazu kommt die schwere Viskosität, die die Flüssigkeit definiert, beim Schwenken legen sich entsprechend Filmschichten an die Glaswand, denen man wunderbar beim langsamen Aufspalten in dicke Beine zusehen kann.

Die Pflanzlichkeit ist nicht nur optisch vorhanden, der Geruch setzt dem noch eins drauf. Es ist schwer, einzelne Noten herauszumachen, die Kombination aus frischen Tönen wie Anis und Estragon, würzigem Sternanis und Nelken, etwas süßlichem Zimt und dann noch floralen Komponenten, die mich an Veilchen denken lassen, ist einfach so angenehm, dass ich mir gerne ein reines Schnupperglas eingieße. Zu tief sollte man die Nase allerdings nicht ins Glas halten, sonst findet man unter viel Wermutkraut auch etwas Ethanol (nur in Anflügen allerdings, die 56% Alkoholgehalt sind nicht wirklich erkennbar).

Chartreuse Liqueur d’Elixir 1605 Glas

Ich lasse mir wirklich viel Zeit mit dem Duft, bevor ich den ersten Schluck nehme. Zunächst meint man, dass die einem Likör angemessene Süße, die den ersten Zungenkontakt bildet, auch den Rest der Verkostung dominieren wird, doch weit gefehlt – ziemlich schnell verdrängt die krautige Würze die Süße aus der Hauptrolle, das wirkt fast paradox trocken am Gaumen, dann direkt auch sehr feurig mit viel Chilihitze, die Gaumen und Zunge etwas anästhesiert. Das Kräuterbouquet des Geruchs ist gleich stark auch geschmacklich ausgeprägt, vielschichtig und ohne einzelne Spitze, höchstaromatisch und mit einem vollen Körper ausgestattet. Insgesamt geht alles im Verlauf ins Bittere über, mit einem Ticken Grapefruitzeste und Anis, die peppige Frische dazuliefern. Der Abgang ist lang, mit herber Herbalität, die verhindert, dass am Ende ein zuckriges Gefühl zurückbleibt.

Ein Kräuterlikör, der seinen Namen wahrhaft verdient! Man hat es bisher ja vielleicht schon dezent gemerkt, ich bin ein Chartreuse-Fanboy, es ist eine meiner absolut liebsten Spirituosen, und neben Campari wie gesagt das einzige Produkt, das in meiner Heimbar niemals ausgehen darf. Und ich habe für mich nun, nach der oben geschilderten kathartischen Epiphanie und der Verkostung, sogar die Entscheidung getroffen, den normalen Chartreuse Verte auf Dauer durch den Liqueur d’Elixir 1605 zu ersetzen.


Das Jade Idol, gefunden in Matt Pietreks „Minimalist Tiki“, zeigt sehr deutlich, wie wunderbar flexibel und vielseitig Chartreuse eingesetzt werden kann. Es gibt klassischen Drinks eine unübertreffbare Kräuterigkeit, und setzt sogar in vielzutatigen Tiki-Cocktails seine unverkennbare Duftmarke, ohne die anderen Zutaten unterzubuttern. Apart aber auch, wie hier grüner Minzlikör neben zusätzlicher Farbe noch diesen wunderbar frischen Nachgeschmack dazubringt.

Jade Idol Cocktail

Jade Idol
1 oz / 30ml Orangenlikör
1 oz / 30ml Chartreuse Verte
½ oz / 15ml ungereifter Overproof-Jamaica-Rum
¼ oz / 10ml Crème de Menthe grün
¾ oz / 25ml Limettensaft
¾ oz / 25ml Zitronensaft
½ oz / 15ml Honigsirup
Auf Eis shaken. Mit crushed ice servieren.
[Rezept nach Justin Wojslaw]


Man sieht es auf dem Vergleichsfoto – der 1605 scheint erkennbar gelber zu sein als das klassische Chartreuse, und auch dichter. Auch beim Schwenken spürt man den Unterschied, der 1605 ist hier viel schwerer und öliger. Geruchlich sind sich die beiden dann aber sehr viel näher, trotz höherem Alkoholgehalt wirkt der 1605 dabei weniger alkoholisch, schwerer und dichter. Ähnlich im Geschmack – da ist natürlich extrem viel mehr Wumms hinter dem 1605, er wirkt viel harziger, kräuteriger, aromatischer in jeder Beziehung, und das liegt, meine ich, nicht nur am Alkoholgehalt.

Chartreuse Liqueur d’Elixir 1605 Vergleich zu Chartreuse

Schön ist natürlich auch der giftgrüne Geschenkkarton, in dem die Flasche geliefert wird. Von diesem Detail abgesehen, halten sich die Pères Chartreux mit opulentem Design eher zurück, alles ist auf die Farbkombination grün-schwarz-silber ausgelegt, und ein ins Glas eingelassenes Wappen setzt das Tüpfelchen auf. Echtkorken ist bei Likör für mich nie nötig, hier aber vorhanden; immerhin verhindert man damit, dass sich ein Schraubverschluss durch Zucker zukrustet, wie das beim klassischen Chartreuse Verte oder Jaune, wie auch bei anderen Likören, passieren kann.

Allerdings ist der Durchsatz für Chartreuse in meiner Heimbar derart hoch, dass sich dieses Problem nur höchstselten manifestieren könnte. Ich trinke das einfach gern, in Cocktails, pur oder sogar als Shot aus dem Eisfach – und das Liqueur d’Elixir 1605 ist dann noch die Extraschippe auf dem Genuss, die mir den geringen Preisaufschlag sehr versüßt.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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