Single Botanical Overproof Gin – Eversbusch’s Doppelwachholder „66“

Eversbusch's Doppel-Wachholder „66“ Titel

Ich musste zweimal hinschauen, und dann nachschlagen. Die offizielle, moderne Schreibweise für sowohl die Pflanze als auch den aus den Früchten der Pflanze gebrannte Schnaps ist „Wacholder“, mit einem „h“. Dass auf dem Etikett des Eversbusch’s Doppelwachholder „66“ diese Bezeichnung mit zwei „h“ geschrieben wird, liegt daran, dass man es so in Westfalen als Zeichen der Tradition mit der Rechtschreibung von vor 1908 beibehalten will, nun, wems gefällt. Die eigentlich viel wichtigere, große Frage, die sich viele stellen werden: Was ist der Unterschied zu Gin? Zunächst ist es der Alkoholgehalt, der gesetzlich bei einem Wacholderdestillat nur mindestens 30% betragen muss – bei Gin sind es 37,5%. Während einer Verkostungsrunde beim ISW 2021 musste ich klar feststellen, dass niedrigprozentige Produkte dieser Kategorie es schwer haben, im direkten sensorischen Vergleich mit Hochprozentigem standzuhalten, Alkohol ist einfach ein Geschmacksträger. Beim vorliegenden Brand besteht diese Gefahr aber nicht – mit 66% Alkoholgehalt hat man ordentlich was vorgelegt.

Noch ein kleiner Unterschied besteht: Beim Eversbusch’s Doppelwachholder „66“ legt man sich toskanische Wacholderbeeren in einen neutralen Roggenbrand ein und destilliert dies nach etwas Mazerationszeit in Kupferbrennanlagen. Ganz ohne Kardamom, Zitronenzeste, Koriandersaat und Fenchelblätter, nur Wacholder eben. Bei beiden, Wacholderdestillat und Gin, sollte der Wacholder die vorherrschende Aromatik liefern, es sind aber rechtlich bei beiden auch andere Kräuter erlaubt; bei einer „Spirituose mit Wacholder“ ist zumindest der Drang gefühlt etwas größer, sich mit Alternativaromen zurückzuhalten, im Gegensatz zu Gin, bei dem es heutzutage ja sogar Pflicht zu sein scheint, den Wacholder unter all den Bergamotte-, Salbei-, Enzian-, Kamille- und Sonstwelchenkräutern (je mehr, desto besser, meinen viele Hipsterbrenner) komplett untergehen zu lassen. Genug geschimpft, raus mit den negativen Gedanken aus dem Kopf, rein mit dem sauberen Destillat ins Glas!

Eversbusch's Doppel-Wachholder „66“

Klar und rein, farblich gibt es zum Glück nichts Unerwartetes zu berichten. Das schwappt sich gut hin und her, man erkennt leichte Viskosität, bei diesem Alkoholgehalt ist das nicht ungewöhnlich. Der Film, der dabei an der Glaswand entsteht, fließt gemächlich in dicken Beinen ab.

Die Nase ist das, was man sich von Gin erwartet – und es ist nichtmal ein Gin, aber von einem Wacholderdestillat erwarte ich mir eben auch genau das. Wacholder, en masse, die helle Säure frischer Beeren, aber auch die Würze getrockneter, die man zum Braten gibt. Leichte Harzigkeit, und dazu der Geruch der Zweige, diese nasse Holzigkeit, die auch Thymian- oder Rosmarinzweige haben. Eine leichte Alkoholspitze ist da, die sich mit etwas frecher Zestigkeit verbindet und in der Nase kitzelt. Dazu kommt noch etwas Frucht, Birne, Heidelbeere, Kirsche, und ein Anflug von Nelken und etwas Heu. Und das alles nur aus dem Destillat und Wacholder! Man sieht, wenn man sein Handwerk beherrscht, werden viele Botanicals, die modernen Gin durchfluten, unnötig.

Eversbusch’s Doppelwachholder „66“ Glas

Im Mund ist diese holzig-trockene Note direkt von Anfang an da. Die Textur ist schmeichelnd und weich, flauschig schon, sehr breit und tief. Leicht salzig fühlt es sich an, wenn man den Eversbusch’s 66 durch den Mundraum gleiten lässt, trotz der 66% ist das ohne Schwierigkeit machbar. Wacholder ist natürlich aromatisch sofort dominant, die Beeren, aber auch die Äste, an denen sie wachsen, man meint wirklich, in einen frisch geernteten Wacholderzweig mit ein, zwei Beeren daran zu beißen. Diese milde Harzig- und Holzigkeit ist sehr charaktervoll, wird durch die Eindrücke von ätherischen Zitrusölen und attraktiver Bittere ergänzt. Im Verlauf baut sich immer stärker Würze und Feuer auf, da glüht der Gaumen, aber völlig ohne Kratzen oder Beißen.

Der Abgang ist dann von einem frischen Eiseshauch beherrscht, das zuvor vorhandene Feuer kehrt sich in angenehme Kühle um, die Zungenspitze ist anästhesiert und friert regelrecht. Wacholder klingt lange mit, leicht holzig, leicht würzig, man kann das alles, was man zuvor schon hatte, nun nochmal revue passieren lassen. Mit einem Anflug von Hyazinthen-Floralität endet die Verkostung.

In den Diamond Head gehört normalerweise Dry Gin. Mit dem 66er-Eversbusch wird aus dem netten Aperitiv-Drink ein Knaller, der schnell zu Kopf steigt, aber man kann einfach nicht aufhören zu trinken. Diese tolle Mischung aus Zitrus (wer noch nie Amalfi-Zitronen probiert hat – in diesem Drink explodieren sie geradezu!) und Kräuter wird nur vorsichtig durch die Aprikose gebremst. Höchstkomplex und aufregend – mit den richtigen Zutaten ein Hammer.

Diamond Head Cocktail

Diamond Head
2oz / 60ml Dry Gin
1oz / 30ml Zitronensaft
½oz / 15ml Apricot Brandy
1 Teelöffel Zuckersirup
1 Eiweiß
Auf Eis shaken.
[Rezept nach unbekannt]


Besonders ist das Behältnis, in dem man den Doppelwachholder 66 bekommt – ein hübscher Steingutkrug macht in der Heimbar immer was her. Man kann unterschiedliche Größen davon bekommen, 35cl und 70cl hat der Hersteller im Angebot, beides jeweils auf 666 Exemplare limitiert, erkennbar an der von Hand eingetragenen Nummerierung (117 bei mir). Da dies bereits die zweite Auflage ist (die erste erschien 2019, diese zweite 2020), muss man nicht völlig verzweifeln, wenn man gerade nichts davon bekommen kann, ich gehe davon aus, dass es auch eine dritte Auflage geben wird, wenn die zweite ausverkauft ist. Und zugreifen sollte der Wacholderfreund hier ganz sicher, die Klarheit und Sauberkeit ist ganz besonders für den Ginfreund von Wert, der mal prüfen will, was das Kraut so ganz alleine kann, ohne Unterstützung von anderen Botanicals. Ich verspreche, die Flasche wird nicht einstauben!

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.