Aktuell brennen auf der Welt gerade die Wälder. Australien löste dabei Brasilien in den Nachrichten ab, und man will gar nicht darüber nachdenken, was 2019 und 2020 für die botanische Artenvielfalt bedeuten. Für uns Spirituosenfreunde scheint es grundsätzlich erstmal unproblematisch zu sein, was die Hölzer für Fässer angeht – der riesige Löwenanteil stammt aus unbedrohten Gebieten wie Nordostamerika und Frankreich. Auch Cachaça wird, wenn gereift, meist in Eiche gelagert. In der Wahrnehmung allerdings ist zumindest in Deutschland häufig das exotische native brasilianische Holz im Vordergrund – wie zum Beispiel Bálsamo, das für den Boazinha Cachaça zum Einsatz kam. Bálsamo ist ein sehr aktives Holz, das Aromen und Farbe gern willig abgibt, und ist daher einer der Lieblinge der Cachaça-Hersteller – ein weiterer Grund wäre wohl, dass diese Holzart noch eine der am wenigsten bedrohten in Brasilien ist, man kann also unbesorgt zugreifen (was sicherlich nicht für alle Holzarten gilt, da sollte man sich informieren). Wie das nach den großen Feuern in Südamerika 2019 aussieht, bleibt noch zu klären; einfacher wird es für die Pflanzenwelt Brasiliens sicher nicht, vor allem nicht unter einem Präsidenten, dem die Natur am Arsch vorbei geht. Man kann hoffen, dass die mit traditionellen Methoden arbeitenden Cachaça-Brenner mehr an Nachhaltigkeit interessiert sind als die populistische Politik.
Der Boazinha stammt aus der Destillerie Seleta & Boazinha in Salinas, einem Zentrum der Cachaca-Herstellung. Der Werbetext sagt, dass 17 Zuckerrohrsorten entsaftet wurden, ich habe persönlich keinerlei Vorstellung davon, ob das viel oder wenig ist, oder ob es wirklich einen großen Unterschied macht, wieviele Sorten Zuckerrohr in einer Maische angesetzt werden, sobald es mehr als eine einzelne ist – die parzellarische Einzelsortenverwendung ist dabei eh eher ein Experiment, das bei rhum agricole hin und wieder statt findet. Gießen wir uns ein Glas des „kleinen Guten“, so eine freie Übersetzung des Namens, ein, und versuchen uns dem Thema einfach sensorisch zu nähern.
Die Farbe ist strohig, wie Weißwein – 4 Jahre Reifung in oben erwähntem brasilianischem Bálsamo-Holz haben diesen Farbton erzeugt. Insgesamt unauffällig, da will ich mir nichts aus den Fingern saugen, nur eine leichte Viskosität. Dazugehörige Beine am Glasrand laufen schnell ab.
In der Nase ist der Boazinha Cachaça sehr floral, nach Lavendel, angedrücktem Kardamom, erkennbar grasig, eher schon nach getrocknetem Heu im Sommer, dabei aber milder als viele rhums agricoles. Etwas Pferdestall. Die Zuckerrohrbasis ist klar erkennbar. Eine Weichspülernote ist da (gäbe es einen Weichspüler mit diesem Aroma, ich wäre Markenabonnent). Keine Spur von Lack oder Ethanol. Hört sich vielleicht seltsam an, aber diese Spirituose riecht warm und weich.
Im Antrunk bleibt alles entsprechend sehr weich und süß. Im Verlauf setzt eine zunächst milde, dann immer feuriger werdende Würze ein. Eukalyptus, Kardamom, Fenchel, Gras, grünes Holz, Harz und Fichtennadeln. Sehr ätherisch, waldig, holzig, kühl und hauchig – ein sensationelles Mundgefühl mit vielen sonst bei Spirituosen selten zu findenden Komponenten. Dabei durchgängig mild, rund und vollkörperig, ohne die Frische zu vergessen. Nie stumpf, immer hellklingend und leicht. Sehr komplex, breit und tief gleichzeitig. 42% Alkoholgehalt sind ideal gewählt.
Zum Schluss, der Abgang – herrlich kühl, grasig, lang und intensiv. Ein leichter Eisenton. Mild adstringierend. Die Eukalyptusnote des Bálsamo-Holzes klingt sehr lange nach, als hätte man ein Kräuterbonbon gelutscht.
Nun, wer immer dachte, dass Cachaça eine reine Mixspirituose sei, der wird spätestens hier eines besseren belehrt. Ich trinke den Boazinha gern langsam, pur, handwarm im Glas und genieße die ausgeprägte Zuckerrohrbasis, die angenehme Bodenständigkeit und die faszinierenden Holztöne.
Im Street & Flynn Special wird normalerweise gereifter Rum verbaut. Nachdem ich diesen wunderbaren Cocktail das erste Mal getrunken hatte, war mir klar, dass er die ideale Verkleidung für den Boazinha ist – die Holz- und Grasnote montiert sich herrlich in die Mischung aus Ingwer, Piment und Limette. Ein echter Gewinnercocktail, einer meiner liebsten.
Street & Flynn Special
1½ oz gereifter Cachaça
½ oz Pimento Dram
½ oz Ingwersirup
½ oz Limettensaft
Auf Eis shaken, abseihen in ein Glas voll Eis. Mit Soda aufgießen.
[Rezept adaptiert nach Zachary Gelnaw-Rubin]
Die Flasche ist sehr ungewohnt – eine undurchsichtige Keramikflasche mit krummschiefen Winkeln. Sehr charmant ist der kleine Griffhenkel, an dem man die Flasche zum Eingießen halten kann. Der Echtkorken wird normalerweise von einem Holzdeckel gehalten; wie man auf dem Foto sieht, hat meine Flasche bei der Lieferung etwas gelitten und der Deckel ist abgequetscht worden. Das tut dem Ganzen keinen Abbruch, mit einem Korkenzieher ist so ein Korken auch leicht aus einer Spirituosenflasche geholt. Und da sich so ein toller Zuckerrohrbrand bei mir eh nicht lang hält, der wird ruckzuck weggetrunken, besteht auch keine Gefahr, dass der fehlende Originalverschluss für Nachteile im Aroma sorgt.
Ein Kommentar zu “Der kleine Gute – Boazinha Cachaça”