Es spricht sich so langsam rum – Altersangaben auf vielen, hauptsächlich lateinamerikanischen Rums sind Schall und Rauch. Da prangen große Zahlen im Bereich zwischen 12 und 30 auf den Flaschen, die teilweise entweder gar keine Altersangaben sind (wie bei Flor de Caña zum Beispiel), oder das Wort „Solera“ in der Nähe stehen haben, also zwar als Altersangabe gemeint sind, wie das aber dann bei einem Solera-Verfahren (bei dem man rein technisch kein absolutes Alter angeben kann) zu interpretieren ist, wird meist offengelassen.
Eine alternative Form, zumindest ein Gefühl für das Alter der Spirituose zu vermitteln, haben sich andere Hersteller zugelegt. Sie leihen sich dafür Altersangaben, die sonst im Spirituosenbereich für spanischen Brandy zum Einsatz kommen. So finden sich dann die Wörter „Reserva“ oder „Gran Reserva“ auf dem Etikett. Bei Brandy ist geregelt, was sie bedeuten: Brandy de Jerez Solera Reserva weist das minimale Durchschnittsalter von einem Jahr auf, Brandy de Jerez Solera Gran Reserva ein minimales Durchschnittsalter von 3 Jahren. Weitere Bedingungen gelten für diese Begriffe, die ich hier nicht erwähne. Man beachte dabei das wichtige Schlüsselwort „Durchschnitt“. Auch für spanischen Rotwein gibt es diese Begriffe, mit etwas anderer Bedeutung. Die Frage ist natürlich, inwieweit sich die Rumhersteller an diese Vorgaben halten, oder ob sie einfach die prestigeträchtigen und wohlklingenden Bezeichnungen übernehmen. Für Rum gibt es meines Wissens keine klare Regelung, was diese Begriffe in diesem anderen Kontext bedeuten, und erst recht keine Kontrollinstanz wie das Consejo Regulador Especifica Brandy de Jerez, das die Einhaltung überprüfen würde – daher muss man im leider allzuoft sehr zwielichtigen Umfeld des Rums davon ausgehen, dass diese Auszeichnung reine Dekoration ist.
Einer der Rums, die sich diese Wortkombination aufs Etikett geschrieben haben, ist der Atlántico Gran Reserva, der Nachfolger des Atlántico Private Cask, den vielleicht der eine oder andere Rumfreund schon kennt.
Die Farbe, ein glitzerndes, strahlendes Kupfer mit orangefarbenen Reflexen, gefällt bereits in der Flasche, wo sie einen attraktiven Kontrast zum dunklen Blau des Etiketts bildet. Eine Färbung mit Zuckerkulör ist vorgenommen worden, wie bei den meisten der heutzutage erhältlichen Rums, hier wird sie wenigstens auf dem Etikett klar angegeben. Im Glas liegt der Rum dünn, hinterlässt am Glas aber doch Schlieren.
Die Nase lässt schon darauf schließen, was wir im Mund nachher zu erwarten haben. Da ist viel vordergründige Süße, Karamell, Werther’s-Echte-Sahnebonbons, viel Vanille und Zimt, Kaffee und etwas Minze. Der Alkohol ist zunächst leicht stechend, er verfliegt aber nach einer Weile Offenstehzeit.
Im Mund liegt der Atlántico Gran Reserva zunächst sehr breit und süß, und die Nachsüßung (immerhin nach einer eigenen Bestimmung ordentliche rund 22g/L) schlägt volle Pulle und ohne Gnade zu. Da sind noch deutliche Erdnussaromen, etwas Ahornsirup, Cappuccino und dezente Gewürznoten. Der Alkoholgehalt von 40% ist nur mäßig gut eingebunden, man schmeckt und spürt ihn deutlich. Es handelt sich laut Hersteller um einen Blend aus Melasse- und Zuckerrohrsaft-Rums, etwas, das ich rein sensorisch kaum erkennen kann. Die sehr charakteristische grasige Note eines Zuckerrohrsaft-Rums ist nichtmal ansatzweise schmeckbar.
Im Abgang entsteht etwas Würze, leichtes Chili, und eine gewisse Trockenheit fängt endlich an, sich gegen die bis hierher dominierende Süße zur Wehr zu setzen. Ein kühlendes Gefühl sorgt eine Weile für einen recht angenehmen Nachhall, der allerdings dann schnell wieder von einem leicht pappig-klebrigen Gefühl eingeholt wird, das mich an übersüßten Cappuccino erinnert, was leider das einzige ist, was nach einer Weile als Eindruck dieses Rums übrig bleibt.
Ich bin wirklich kein Süßrumtrinker, daher muss ich mir darüber klar werden, was ich mit diesem Rum anfangen kann. Im The Black Sands sind genug Säure- und Frischekomponenten vorhanden, um die oberflächliche Süße des Atlántico Gran Reserva auszugleichen, so dass ein sehr trinkbarer, leckerer Cocktail entsteht. Das ist daher auch meine grundsätzliche Empfehlung – säurelastige Drinks bieten ein schönes Umfeld für diesen Rum, so dass er hier zumindest etwas glänzen kann.
The Black Sands
1 oz gereifter Rum
1 oz Calvados
¾ oz Limettensaft
½ oz Zuckersirup
8 Minzblätter
Auf Eis shaken und auf Eis abseihen.
Mit etwas Sprudel aufgießen und einem Minzstrauch servieren.
[Rezept nach Gregory Saavedra]
Zu guter letzt sollten wir als interessierte Rumfreunde natürlich noch ein paar Fragen klären, bei denen viele Hersteller anfangen, mit den Zähnen zu knirschen. Wo wird der Rum destilliert? Er ist laut Etikett ein Produkt der Dominikanischen Republik, die Destillate werden aber wohl, wenn man vertrauenswürdigen Quellen glauben darf, von der Firma Oliver & Oliver anderswo eingekauft, z.B. in Trinidad oder Panama, und sie werden nur in der Domrep geblendet.
Das führt dann direkt zur nächsten Frage – wie alt ist der Atlántico Gran Reserva? Wie schon in der Einleitung angesprochen, bedeutet die Wortkombination „Gran Reserva“ auf einer Rumflasche nichts handfestes. Das Solera-Verfahren wird einerseits angesprochen, in Werbetexten liest man aber dann von einem fassweisen Blend („Es handelt sich um einen Blend aus small batch Rums, die bis zu 25 Jahre lang reiften“). Wie man auch bei anderen Herstellern sieht, ist Solera und Blend für viele Rumproduzenten scheinbar dasselbe. Das Alkoholfeuer, das noch gut spürbar ist, und das insgesamt eher oberflächliche Geschmacksbild, lässt mich die Frage stellen, wie groß der Anteil der 25-jährigen Rums in diesem Blend sein kann; ich gehe von Tröpfchen aus, der Löwenanteil ist gefühlt sehr jung und wenig gereift.
Womit wir beim dritten Problempunkt sind – zur Geheimnistuerei kommt dann noch Marketingblabla Formulierungsunklarheit. Sätze wie folgender, entnommen dem Exposé Atlánticos zum Rumfest Berlin 2017, lassen bei einem Rumkenner schon leicht die Fragezeichen über dem Kopf sichtbar werden.
„Atlántico umfasst zudem eine Art von Rum, die sich Malta nennt. Darunter versteht man Rum, der mit einem niedrigeren Alkoholgehalt destilliert wurde. Das ermöglicht es dem Blend, mehr der natürlichen Aromen und Charakteristika des Zuckerrohrs beizubehalten.“
Keiner der sehr informierten Rumkenner aus diversen Gruppen, in denen ich unterwegs bin, konnte mit dem Begriff Malta etwas anfangen. Andere Quellen sprechen aber auch vom Zusatz von Aguardiente. Auf jeden Fall ist der Herstellungsprozess, wenn man noch die Nachsüßung mit in Betracht zieht, nicht wirklich mit meinem Bild einer transparenten, traditionellen Rumproduktion vereinbar. Was für mich persönlich schon ein Grund für sich ist, derartige Produkte nicht zu kaufen, das muss aber jeder mit sich selbst ausmachen.
Nachtrag: Wenige Tage nach der Veröffentlichung dieses Artikels erhielt ich eine Nachricht vom deutschen Brand Ambassador für Ron Atlántico, der mir einige Details mitteilte, die den Herstellungsprozess doch erkennbar aufklären. Ich bedanke mich bei Florian Perret ausdrücklich für diese Hinweise. Selbstverständlich gebe ich diese nun an meine Leser weiter und ziehe meine Kritik bezüglich der Transparenz teilweise und die Wörter „Marketingblabla“ und „Geheimnistuerei“ ganz zurück. Ideal wäre natürlich eine entsprechende Anpassung auf der produkteigenen Homepage (und, obwohl das ein frommer Wunsch bleiben wird, auf dem Etikett).
Der Melasse-Anteil des Rums, der in den Blend für den Atlántico eingeht, wird in der Destillerie Alcoholes Finos in der Dominikanischen Republik in einer Column Still gebrannt, die Melasse dafür bei der Central Romana Sugarmill eingekauft. Der Zielalkoholgehalt dafür liegt bei ca. 90%-95%.
Der zweite Anteil, der Zuckerrohrsaftrum (aus gegebenem Anlass, unabhängig vom Atlántico, verwende ich nicht das Wort „agricole“, dazu in einem späteren Artikel mehr), wird ebenfalls komplett in der Dominikanischen Republik hergestellt: Das Zuckerrohr wird in La Romana geerntet, ausgepresst und auch in einer Column Still auf einen ähnlichen Alkoholgehalt destilliert.
Der dritte Anteil, das geheimnisvolle „Malta“, wird auch in diesem Schritt erzeugt; es handelt sich dabei um Zuckerrohrsaftrum, der statt auf über 90% einfach auf rund 75% destilliert wird.
Diese drei Komponenten lagern und reifen separat voneinander und werden am Ende in einem Blendingprozess miteinander kombiniert. Insgesamt ungewöhnlich, aber gewiss keine Mauschelei.
Offenlegung: Ich danke Sierra Madre GmbH für die kostenlose Zusendung einer Flasche des Atlántico Gran Reserva.
4 Kommentare zu „Rumreserven – Atlántico Gran Reserva“