Ich werde langsam alt, und besonders spüre ich das daran, dass ich großen Gefallen gefunden habe, diese Bergpolizei-Serien auf ARD und ZDF zu schauen, von Hubert und Staller über Watzmann ermittelt bis zu den Rosenheim-Cops (obwohl letzteres zu einer Art Kleiderständer-Sprechzimmer geworden ist, aufs Schauspielern wird da inzwischen komplett verzichtet). Unkomplizierte und oberflächliche Fernsehunterhaltung, bei der am Ende der Gute gewinnt und der Böse bestraft wird, mit dem Charme der Berge unterlegt; in Zeiten, in denen man beim Schauen der Nachrichten Magengeschwüre und Frustschreierei bekommt, ist das für mich tatsächlich ein bisschen Erholung. In Folge 7 der ersten Staffel von Watzmann ermittelt kann man tatsächlich darüber hinaus etwas lernen, was uns den Hauptthemen dieses Blogs wieder etwas näher bringt – dort wird nämlich gezeigt, wie in kleinem Maßstab ein Enzianbrenner arbeitet. Die Wurzel wird kleingehackt und angesetzt, dann in Kupfer gebrannt. Man soll nie sagen, Fernsehen würde nicht bilden! Man muss nur aufpassen, wo man hinschaut. Hier dient tatsächlich die Enzianbrennerei Grassl als Set und als Inspiration, damit hat man jedenfalls ernsthaft was zu besichtigen in der Folge der Serie.
Bei Grassl, der ältesten Bergbrennerei Deutschlands, geht das natürlich in einem anderen Maßstab vonstatten, als bei der Hüttenbrennerei, bei der man den Bergbrenner bei der Arbeit sieht. Für das Sammeln und Verarbeiten der Wurzeln des violetten und gelben Enzians, die in Deutschland eigentlich unter Naturschutz stehen, braucht man eine gesonderte Erlaubnis. Doch auch dort wird die Wurzel kleingehackt und mit Wasser und Hefe vergoren, 6 Wochen gibt man der Maische dort, einfach auch, weil die Wurzel natürlich wenig Zucker als Nahrung für die Hefen hergibt. Danach brennt man den Gebirgsenzian doppelt, und das Destillat wandert für mindestens 3 Jahre in Eschenholzfässer im Felsenkeller unter Berchtesgaden – für das Eschenholz hat man sich entschieden, da dieses nur wenig der für dieses Produkt unerwünschten Farb- und Geschmackseinflüsse bringt; die Fasslagerung dient für den Gebirgsenzian mehr der Beruhigung des Destillats. Von da kommt es dann in die Flasche, und dann ins Glas des interessierten Konsumenten!
Durch die Filtration, die vor der Abfüllung erfolgt, ist keinerlei Rest eines eventuell die Destillation überlebt habenden Partikels zu sehen, die Flüssigkeit ist kristallklar und mit schöner Viskosität versehen. Langsam laufen die Tropfen an der Glaswand ab.
Die Nase ist natürlich sehr prägnant für diese Art Spirituose – man riecht sofort die extrem erdige Wurzel, die als Basismaterial dient. Wie eine frisch ausgegrabene Pflanze, feuchte Erde, Anklänge von Karotte und Kartoffel, feuchter Keller, nasses, pilziges Holz, ein bisschen gewässerter Beton. Ganz mild scheint sogar etwas Floralität durch, als würde der Enzianwurz ein bisschen seiner Blüte mitbringen, dazu ein Hauch Lavendel. Wirklich besonders und speziell, aber in keiner Form unangenehm.
Die Viskosität zeigt sich dann auch am Gaumen, dick und cremig liegt der Gebirgsenzian im Mund, schön breit und mit durchdringender, natürlicher Süße. Schnell spürt man auch im Geschmack dann aber die Erdigkeit, die Wurzeligkeit, die Staubigkeit und die Kelleraspekte, die man schon gerochen hatte, das bildet sich sehr gut von der Nase auf die Zunge ab. Leichte Würze, die an schwarzen Pfeffer erinnert, vielleicht etwas Piment, leitet dann in ein warmes Brummen über, das die Schleimhäute kitzelt, ohne wirklich zu brennen, der Alkohol fühlt sich gut eingebettet an. Gegen Ende geht die Süße in wurzeligerdige Trockenheit über, ohne jede Astringenz, und dieser staubige Eindruck dominiert den Nachhall, wenn sich zusätzlich ein kühler Hauch im Mund breitmacht und einen unterhaltsamen Meerrettich-Ton hinterlässt.
Hier spürt man die Enzianwurz wirklich wunderbar, und sie ist in ein rundes Gesamtbild eingebettet. Man meint, die Herstellung sehen zu können beim Trinken. Ich denke, der Gebirgsenzian von Grassl ist ein richtig schöner Digestif, oder, wie das bei Watzmann ermittelt gezeigt wird, ein perfekter Gipfeltrunk.
Veröffentlichte Cocktailrezepte zu Enzian zu finden, ist eine schwierige Aufgabe – die meisten, die man findet, beziehen sich eher auf einen Enzianlikör wie Suze. Ein ähnliches Problem hatten wohl Torben und Matthias, als sie sich auf trinklaune.de überlegten, wie sie einen Enzian in einem Cocktail einsetzen, und haben in ihrer Genialität einfach selbst einen kreiert. Der All Your Favourite Bands ist ein toller, erdig-wurzeliger Wet-Martini-Twist, ich zolle den beiden hiermit die Ehre, die sie verdienen.
All Your Favourite Bands
40ml Dry Gin
20ml Enzian
25ml trockener Wermut
10ml Orangenlikör
Auf Eis rühren. Mit einer Zitronenzeste absprühen.
[Rezept nach Torben Börnhoft und Matthias Friedlein]
Den Gebirgsenzian kann man im gut sortierten Einzelhandel kaufen, in unterschiedlichen Flaschengrößen; die 350ml-Flasche ist für mich und meine Hausbar praktisch. Etikett und Design deuten auf die Tradition hin, sind dabei aber nicht kitschig. Und das kleine Stofftuch, das über den Drehverschluss gespannt wird, ist ein kleines, aber unterhaltsames Detail, das die Flasche aus der Masse hervorhebt.
Ich will jetzt nicht spoilern, aber am Ende der Folge von Watzmann ermittelt kommt es zu spannenden Verwicklungen bezüglich Brennern, alten Rezepten und Liebesaffären, da hatten die Leute bei Grassl sicherlich viel Spaß bei den Dreharbeiten. Bei einem Enzian muss man sich um Rezepturen nicht so viel Sorgen machen wie beim Kreuzian der Serie, der für soviel Ärger verantwortlich war – das ist ein Brand, der klar und ohne jede Geheimnistuerei oder Tricksereien abliefert. So stell ich mir das vor und wünsche mir es, in den Bergen.



