Direkter geht es nicht – Campanilla Mezcal Ancestral Joven Ángel Navarro

Campanilla Mezcal Ancestral Joven Ángel Navarro Titel

Eines der großartigsten Erlebnisse hatte ich Ende letzten Jahres, als ich während México Selection by CMB 2024 in San Luis Potosí die Möglichkeit hatte, einen Besuch bei einem Mezcal-Brenner zu machen. Das besondere dabei war natürlich, den Menschen dort die Hand zu schütteln, sie bei ihrer Arbeit zu beobachten, die Gerätschaften zu betrachten und, und das ist für mich immer das Größte, tatsächlich die Hand auf die Pflanzen, Steine und Stoffe zu legen, sie zu fühlen, zu riechen und zu schmecken. Eigene Eindrücke sind durch keine Beschreibungen oder Erzählungen zu ersetzen, darum bin ich den Veranstaltern von México Selection by CMB sehr dankbar, dass sie soetwas ermöglichen, insbesondere, weil diese Art von Besuchen für den Privatmann, der alleine unterwegs ist, nur wirklich schwer möglich sind. Ohne professionelle Reisebegleitung sollte man in Mexiko wirklich nicht unterwegs sein, sowohl aus Sicherheitsgründen, als auch deswegen, weil man ohne sie und ihr vertieftes Wissen um die Umgebung die besten Momente verpassen wird.

In San Luis Potosí gibt es zwei Besonderheiten bezüglich Mezcal, die man erleben sollte. Das eine ist die regional beliebte Agavenart Agave Salmiana, hier auch Maguey Verde genannt, und wenn man den Geschmack von aus ihr hergestellten Mezcals kennt, weiß man auch genau, warum; ich habe ja bereits über den Estación Ipiña berichtet, und über den Mezcal Artesanal Júrame. Das andere ist eine spezielle Art von Mezcal, die es nur dort gibt, der Mezcal de Campanilla. Es ist im Gegensatz zu den beiden anderen Salmiana-Mezcals ein Mezcal Ancestral, das heißt, die Produktionstechniken müssen praktisch vorindustriell gehalten werden, mit viel Handarbeit, aber wenn man einmal die Taberna der Navarros ein bisschen außerhalb von San Luis Potosí besucht, sich durch die Mauern von Kaktus, stacheligen Sträuchern und staubigen Straßen gekämpft hat, hat man auch gar nicht die Erwartung, dass hier hochglänzende Edelstahltanks oder komplexe Maschinen laufen. Am Ende des Artikels hier zeige ich ein paar Bilder von meinem Besuch dort. Mitgebracht habe ich natürlich eine Flasche des dort gemachten Mezcal de Campanilla, gebrannt von Ángel Navarro, eingestellt auf 50% Trinkstärke, und diese will ich nun vorstellen.

Campanilla Mezcal Ancestral Joven Ángel Navarro

Kristallklar, ohne jeden Fehler, man meint aber, eine minimalste Tönung wahrnehmen zu können, nur eine Idee von Farbe. Im Glas bewegt sich der Mezcal eher lebendig und leicht, Viskosität ist erkennbar, aber nur gerade so viel, dass sich ein Schlierenfilm an der Glaswand bildet, der zügig und in Beinchen abläuft.

In der Nase wird man direkt mit mehreren Richtungen von Aromen konfrontiert, die man erstmal für sich sortieren muss. Da ist eine reiffruchtige Seite, mit Litschi, Mango, Aprikose und Birne; dann ein prägnanter und ungewöhnlicher fleischig-erdiger Aspekt, schwer greifbar in der Definition, mit etwas feuchtem Erdboden, Räucherspeck und Liebstöckel darin; und zu guter letzt kommt die für die Agava Salmiana so herausragend typische starkgrüne Blattschnittnote mit einem gewissen Plastikbeiklang vor. Eine Mischung, die ein Gesamtbild erzeugt, das sehr komplex und vielschichtig ist, und sich nicht in ein Muster einpassen will. Gleichzeitig erkennt man hier schon, dass es sich um einen durchaus rustikalen Brand handelt, der eher mit Direktheit und Buntheit punktet als mit Klarheit und Eleganz.

Campanilla Mezcal Ancestral Joven Ángel Navarro Glas

Alle drei Aspekte, die man mit Geduld mit der Nase erschnuppert hatte, transportieren sich 1:1 auf den Gaumen. Im Antrunk wirkt der Campanilla deutlich öliger, als man das im Glas optisch wahrgenommen hat, und er legt sich auch schnell und breit ab und belegt den ganzen Mundraum. Die Textur ist sehr dicht und rund, und zusammen mit einer sich im Verlauf entwickelnden, sehr kräftigen Salzigkeit spürt man wirklich, dass man was im Mund hat. Erneut schmeckt man das Land, den Schweiß der Brenner, den Geruch der Tahona und des Esels, und natürlich voll ausgeprägt die Maguey Verde. Leichte Zitrusaromen als Kopfnote und Vanille und Zimt als Unterbau komplettieren ein wirklich komplexes Erlebnis, das in einem langen, warmen und ausdauerndem Abgang endet, mit einem sehr attraktiven Brummen als späte Beigabe.

Es klingt vielleicht, als würde ich den Campanilla dafür kritisieren, dass er so direkt, wenig raffiniert und elegant ist. Doch es ist genau das Gegenteil – es ist ein Abbild der Menschen und der Region, aus der er kommt, Terroir und Provenance in einer Form, wie man sie selten so deutlich erlebt. Ein Brand, der nichts vortäuscht, nichts verspricht, was er nicht halten kann, keine Ansprüche oder Anflüge zu Höherem hat. Ein wunderbares Stück Handwerk, und hier im wirklich wahrsten Sinne des Wortes. Den Campanilla hat ein Mensch gemacht, keine Maschine. Und so sollte man ihn auch wahrnehmen, genießen und in dieser heute selten gewordenen Einfachheit schwelgen.

Ich habe von meinem Besuch in der Taberna der Navarros noch zwei Miniaturen mitgebracht, die die Arbeit der anderen Familienmitglieder repräsentieren. Der Campanilla mit dem pinkfarbenen Etikett stammt von Jaime Navarro, der mit dem himmelblauen Etikett von Maria de la Luz Martinez. Beide brennen auch im gleichen Dorf wie Ángel Navarro. Beim Campanilla von Jaime ist erkennbar weniger dieses erdig-fleischigen Aspekts vorhanden, er wirkt klarer und stringenter; im Abgang zeigt er eine sehr erwachsene Bittere mit Grapefruitzeste als Nachhall. In der Nase des Campanilla von Maria de la Luz ist erstmal eine gewisse Floralität nach Veilchen und Geranien da, und am Gaumen wirkt er deutlich rauchiger als die anderen beiden, mit einem Anflug von Ziegenkäse. Man sieht, selbst kleine Änderungen an der Herstellung erzeugen bei einer so wenige Faktoren beinhaltenden Produktionsweise sofort große Unterschiede, während man die grundliegende Typizität dieses Mezcal-Stils beibehält.


Wirklich perfekt, und das meine ich ganz genau so, passen die Agave Salmiana und Zimt zusammen, das ist ein wirkliches Träumchen. Dazu ein bisschen Mandeln aus dem Orgeat, das ergibt im Zapatero einen herrlich runden Drink, in dem alle Aromakomponenten wie ein Uhrwerk ineinander greifen. An diesem Cocktail gibt es nichts zu verbessern, und der Campanilla Mezcal Ancestral Joven Ángel Navarro ist wie dafür gemacht.

Zapatero Cocktail

Zapatero
1½oz / 45ml Mezcal
½oz / 15ml Bourbon
2 Teelöffel Orgeat
1 Spritzer Angostura
1 Spritzer Chocolate Bitters
Auf Eis rühren. Mit Zimt, Beeren und Orangenzeste dekorieren.

[Rezept nach Jeremy Lake]


Zur Flasche gibt es nichts großartig spannendes zu erzählen, man sieht hier aber schon, dass keine Marketingabteilung dahinter steckt – eine einfache Flasche, mit einem Plastikdrehverschluss und einem einfach gestalteten, aber schönen Etikett. Bei meiner Flasche war noch ein Band in den mexikanischen Nationalfarben um den Hals gebunden.


Wie gesagt, ich habe die Taberna der Navarros besucht, und wir konnten uns dank unseres Guides Miguel Gallaraga auch mit dem Großvater unterhalten, der früher den Campanilla herstellte, und nun aufgrund diverser körperlicher Leiden nicht mehr in der Lage ist, diese harte Arbeit selbst zu machen. Die folgenden Bilder habe ich geschossen, als Ángel und sein Sohn Miguel extra für uns eine zusätzliche Runde der üblichen Produktionsschritte durchführte und uns sogar dabei mithelfen ließ – daher weiß ich, dass das knochenharte Arbeit ist, und der Esel dabei noch die leichteste Aufgabe hat, den Mühlstein zu ziehen. Die Bilder geben natürlich nicht die Faszination wieder, die so ein Besuch am eigenen Leib ausstrahlt.

Beginnen wir mit der Umgebung der Taberna. Man sieht, in welchem Biom sich die Ansiedlung und die Brennerei befinden. Viele schöne, in naivem Stil gehaltene Wandmalereien zeigen den Produktionsprozess, man sieht überall, dass hier tatsächlich gelebt wird, die Wäsche hängt zum Trocknen in der Sonne, die Hunde liegen faul herum und machen Siesta, die Trucks sind groß und abgenutzt von der harschen Natur. Die Polizeibegleitung gibt einem sowohl ein bisschen Sicherheit, als auch ein mulmiges Gefühl, dass sowas nötig ist (was es ist).

Die Familie, die hier lebt, sind eben die Navarros. Ein paar der Familienmitglieder durfte ich kennenlernen; mein Spanisch reicht aus, um zu verstehen, was sie sagen, doch so richtig diskutieren und sich austauschen kann ich leider nicht. Der Guide Miguel (im gelben Hemd) hat uns übersetzt und die Gespräche geleitet. Besonders beeindruckend natürlich der Patrón, der früher selbst Mezcal machte, heute aus Gesundheits- und Altersgründen diese Knochenarbeit nicht mehr verrichten kann, aber um so mehr Einblicke in die Geschichte für uns in petto hatte. Jaime kam kurz auf dem Motorrad vorbeigefahren, und unten sind Ángel und sein Sohn Miguel zu sehen.

Kommen wir zur Arbeit. Den ersten Schritt, die Wahl der Agave und ihre Ernte, konnten wir leider nicht sehen, das war zu dem Zeitpunkt bereits geschehen. Danach wird die Agave zerkleinert und gekocht, für den Campanilla natürlich auf die rudimentärste Art, die man sich vorstellen kann – eine Grube wird ausgehoben, die Agave kommt hinein zusammen mit heißen Steinen und Brennmaterial, das ganze wird mit Erde und noch mehr Steinen sowie ein paar Blättern abgedeckt und mit Steinen beschwert, dann kocht das so vor sich hin, bis die Zucker karamellisiert und die grüne Agave gelbbraun geworden ist.

Diese Agavenstücke müssen nun zerkleinert werden. Dazu nutzt man bei den Navarros natürlich eine Tahona, einen schweren Mühlstein, der von einem Esel gezogen wird. Man sieht schon, wie erste Säfte schaumig austreten, die Fasern werden erkennbar und mit der Mistgabel immer wieder gelockert und aufgeschichtet, damit der Mühlstein wieder etwas zu tun hat.

Mit der Schubkarre werden die gelösten Fasern nun zum Highlight der Taberna gebracht, der „Hängematte“. Die Fasern werden darin verteilt, und über ein Drehkreuz das ganze so angespannt, dass die Säfte im Sturzbach herauslaufen. Diese Arbeit durfte ich auch machen, ich kann sagen, das ist nicht einfach, dafür gefährlich und extrem anstrengend. In dem gemauerten Bereich sammelt sich der Agavensaft, und während er über eine Leitung rein mit Schwerkraft und ohne Pumpen in das Fermentationsbecken abläuft, werden die mehrfach ausgepressten Fasern dann wieder mit der Schubkarre wegtransportiert, um getrocknet als Dünger, Brenn- oder Abdeckungsmaterial weitergenutzt zu werden.

Eine recht unansehnliche, braune Brühe ist das, das muss man ehrlich sagen; die Gruben sind zwar gemauert, aber man sieht überall die Erde, die Reste der letzten Fermentation, den Staub und das Gras, das ab und zu hineinfällt. Die Fermentation beginnt praktisch sofort, man sieht direkt, wie sich Schaum bildet, mit einem groben Stock rührt Ángel Navarro den Saft um. Hefen werden nicht zugegeben, die kommen von allein aus der Umgebung und aus den Resten der Vorfermentation.

Der Saft brodelt jetzt so vor sich hin, er wird nun „Charangua“ genannt. Das sicherlich absolut Ungewöhnlichste am Mezcal de Campanilla ist aber die Art, wie aus dem Charangua erst der „Ordinario“, und dann der tatsächliche Mezcal gebrannt wird. Eine Illustration an einer Wand in der Taberna zeigt, wie mithilfe der dem Endprodukt den Namen gebenden Campanilla, einem Gefäß aus Holz und Ton, auf das eine Metallschale gesetzt und das von einem darunter liegenden Holzofen befeuert wird, gebrannt wird. Der aufsteigende Dampf kondensiert an der mit kaltem Wasser gefüllten Metallschale und tropft dann wieder herab, und der Prozess läuft 3 Tage und 3 Nächte, dann solange, bis der Mezcalero sich entscheidet, dass es genug ist – unser Guide Miguel erklärt uns, dass dafür eine Plastikcolaflasche eines der wichtigsten Werkzeuge ist. Mit ihr und dem Deckel der Flasche werden rein optisch die Perlen beurteilt, die beim Umgießen entstehen; hier kommt die Erfahrung des Brenners zum Tragen. Mit den Kreidestrichen auf dem Brennapparat wird markiert, wie oft schon Wasser nachgegossen wurde.

Und damit sind wir schon fertig, jetzt kommt er nur noch in die Flasche! Ich frage mich ernsthaft, ob es noch rudimentärer, noch weniger technisch geht – man müsste mich wirklich überzeugen, denn was ich hier gesehen und erlebt habe, ist wahrscheinlich die direkteste Form von Spirituosenherstellung, die es gibt, kein Stahl, kein Kupfer, kaum Werkzeug, keine Messinstrumente, kein Motor, keine Pumpen, kein Labor, keine Sterilität, keine Prozesskontrolle, keine Sicherheitsmechanismen. Nur Agave, Menschenarbeit, Wasser und Feuer, und Hefen. Früher wurden die Agaven sogar noch mit großen Holzhämmern statt mit der Tahona zerkleinert, so könnte man noch den Esel einsparen, aber dann? Ich wüsste keinen Schritt, der dann noch rückzubauen wäre. Eine unglaubliche Erfahrung!

Wer so einen Mezcal probieren will, der in diesem faszinierenden Prozess hergestellt wird, muss dank Axel Huhn übrigens nicht selbst nach San Luis Potosí fliegen, auch wenn ich das dem Agavenfreund dringend ans Herz lege. In der Mezcaleria Berlin kann man Campanilla erwerben, wenn auch nicht den von Ángel Navarro, doch für einen guten Eindruck in diese wirklich besondere, urige, ehrliche Art von Spirituose ist dort gesorgt.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..