San Luis Potosí, die Hauptstadt des gleichnamigen mexikanischen Bundesstaats, ist eine wirklich alte Stadt. Gegründet wurde sie 1592, die reichen Bodenschätze wussten schon die spanischen Kolonialherren zu schätzen. Später wurde sie zu einem wichtigen Knotenpunkt der Eisenbahn, die Strecken von den USA bis an den Golf von Mexiko bediente. Das koloniale Erbe und den Reichtum, den man der Erde damals entriss, sieht man heute noch deutlich im Stadtbild, das von alten Kirchen, Türmen und anderen sehr gut erhaltenen Gebäuden geprägt ist. Die Eisenbahn ist weiterhin sehr präsent dort, und sie bietet sich natürlich besonders an, als Pate für einen Mezcal aus der direkten Umgebung zu dienen. Normalerweise ist das Etikett des Estación Ipiña Mezcal Blanco, den ich von meinem Besuch im Zuge von México Selection by CMB 2024 mitgebracht habe, schwarz, mit einem imposanten Bild eines der typischen Züge des späten 19. Jahrhunderts, mit großem Rauchfang und dem auffälligen „cowcatcher“. Die Abfüllung, die ich mitgebracht habe, hat für eine limitierte Auflage ein pinkfarbenes Etikett. Mit jeder verkauften Flasche mit diesem Etikett trägt man zu „Cócteles con Causa“, einer Initiative zur Brustkrebsbekämpfung in Mexiko, bei.
Der Agavenbrand wird zu 100% aus der regional sehr beliebten, wild wachsenden Agave Salmiana, auch Maguey Verde genannt, gemacht. Es handelt sich hierbei um einen durchaus mit modernen Mitteln hergestellten Mezcal, kein Artesanal oder Ancestral, doch das muss nicht unbedingt eine Einbuße an Herstellungsqualität bedeuten: Ein Steinofen kommt beim Kochen zum Einsatz, eine Tahona zum Mahlen der gekochten Fibern. In Edelstahltanks wird fermentiert, und in einer Kupferpotstill destilliert, diese Herstellungsweise ist offensichtlich schon hochwertig. Und der Geschmack hält mit, was ich mit meinen nun folgenden Geschmacksnotizen zeigen werde.
So einen Mezcal trinke ich gerne aus einem Veladora-Glas, das gut in der Hand liegt und authentisch ist. Man sieht auch in so einem Glas die leichte Viskosität und den Rand, der sich beim Schwenken bildet, aus dem die Beine ablaufen. Glasklar ist die Flüssigkeit, natürlich, das erwähne ich nur am Rande.
Sie ist mir außerordentlich ans Herz gewachsen, die Agave Salmiana, weil sie eben diesen absolut eigenständigen Geruch und Geschmack hat, und sehr leicht aus allen anderen Agavenbränden herauszufinden ist. Sehr herbal, sehr grün, sehr originär-direkt an die Pflanze, aus der der Brand entstanden ist, angelehnt. Das könnte man leicht mit Plastik verwechseln, wäre da nicht die wunderbare Komplexität und aromatische Eleganz, die an Wüstenkräuter und frisch aufgeschnittene stachelige Kakteen erinnert. Ein Hauch Bitterschokolade, ein Anflug von Orangensaft und -albedo, beide halten sich im Hintergrund und bieten der Agave das volle Rampenlicht. Da sind viele unterschwellige Assoziationen, die aufkommen, ein bisschen fuseliges Maschinenöl, ein bisschen mineralisches Salz, etwas Floralität von Kaktusblüte, ein minimalster Anflug von Ethanol, der mich an aromatischen Wodka erinnert. Sehr unterhaltsam, sehr direkt, sehr pflanzlich.
Im Mund wirkt der Estación Ipiña noch mineralischer, eine leichte und klare Textur legt sich angenehm an den Gaumen, ohne sich dabei anzuschmiegen. Frisch und mit fast schon eukalyptischen Noten erscheint er vom Antrunk an, mit einer angenehmen, ganz milden Salzigkeit. Die Agave kommt voll durch, geschmacklich noch mehr als geruchlich, man hat wirklich das Gefühl, in eine Grünpflanze zu beißen und den Saft zu lecken. Eine feine, edle Feurigkeit kommt im Verlauf auf, sie unterstützt mit ihrer sowohl vom Effekt als auch dem Geschmack pfeffrigen Seite. Spät erscheint deutlich eine schokoladige Seite, eher weiße als dunkelbraune Schokolade, und etwas leicht angekokeltes Holz. Im Abgang wirkt der Estación Ipiña etwas bitter, und wird hier leicht alkoholisch – leider fehlt es etwas an Körpertiefe, die so einen Eindruck auffangen würde, mit etwas mehr als den eingestellten 40% Alkoholgehalt könnte das meines Erachtens besser werden.
Der Abgang ist der einzige kleine Makel an diesem Mezcal, der offensichtlich eher auf einen Easy-Drinking- oder Foodpairing-Einsatz setzt. Solche Mezcals muss es auch geben, und man muss ihm trotzdem zugestehen, dass er das mit seinen Mitteln hervorragend macht. Kein wirklicher Genussdrink also, bei dem man minutenlang von einem Schluck zehrt, sondern eher was für den unterhaltsamen Abend mit Freunden.
Es ist ein Zufall – ich hatte vor einer ganzen Weile für eines der tollen Rezepte aus dem schwedischen Cocktailbuch „Vilda Drinkar“ einen Rosenblüten-Hibiskus-Sirup hergestellt, und auch noch getrockneten Hibiskus davon übrig. Dies ist eine der wichtigsten Zutaten des Mezcal de Jamaica, wobei man wissen muss, dass der Name nichts mit der karibischen Insel zu tun hat, sondern schlicht der spanische Name für Hibiskus ist. Oh, wie schön Hibiskus und Maguey Verde zusammenpassen! Ein wirklicher Traumdrink.
Mezcal de Jamaica
45ml Hibiskussirup
45ml Mezcal blanco (Salmiana)
25ml Ananassaft
15ml Zitronensaft
Das Gästeglas mit einem Rand aus gemahlenen Hibiskusblüten versehen.
Auf Eis shaken, dirty dump. Mit einem Ananasblatt dekorieren.
[Rezept nach Grupo Estación Ipiña]
Zur Flasche an sich gibt es nicht viel zu sagen, außer dem Etikett, wie schon in der Einleitung erwähnt. Um so mehr allerdings zu der Region, aus der dieser Mezcal kommt; ich hatte ja die großartige Möglichkeit, während México Selection by CMB 2024 ein paar Tage in San Luis Potosí zu verbringen und die Stadt, die Menschen, und die Gewohnheiten ein bisschen kennenzulernen. In Bildern kann man die Intensität, die ich erleben durfte, nicht wiedergeben, ich versuche es trotzdem. Bei La Oruga y La Cebada setzten sich ein paar Leute und ich zusammen, bestellten eine Flasche Mezcal nach Empfehlung des Hauses, und es war dann zufällig eben genau der Estación Ipiña. Man lernt: in der Region wird Mezcal mit Limetten-, Zitronen- und Orangenschnitzen und einem orangeroten Würzsalz serviert, auch wenn sich dem Kenner dabei erstmal die Haare sträuben. Doch die Erfahrung ist wichtig: nicht alles, was man als Purist so denkt, wird von denen, die Mezcal herstellen und täglich trinken geteilt. Also entspannt man sich, genießt den Mezcal mit Salz, und passt sich den Menschen dort an. Ich werde für meinen Teil nicht mehr herablassend über diese Kombination reden!









Besonders in Erinnerung habe ich noch den Spaziergang am Tag der Ankunft, als ich noch allein in der Stadt unterwegs war. Diese superscharfe Mischung aus Mais, 4 verschiedenen Chilis und Sour Cream, die man in Pappbechern für ein paar Pesos bekommt, trieb mir so sehr die Tränen in die Augen, dass ich keuchend einen Ausgleich suchte, und ihn glücklicherweise in den hausgemachten Churros der noch sehr jungen Verkäufer fand – 20 Pesos, rund 80ct, kostet so eine Packung am Straßenrand. In einem Laden habe ich mir dann noch einen mexikanischen Cowboyhut gekauft, den ich im Sommer hier in Saarbrücken tragen werde – ich bin gespannt auf die Reaktionen, der Saarländer an sich ist eher konservativ. Zu guter letzt erwähne ich noch den tollen letzten Abend, den eine kleine Gruppe aus gastfreundlichen und gut gelaunten Mexikanern, einem gewitzten US-Amerikaner, einer äußerst attraktiven Kanadierin und einem strengen Portugiesen (und mit mir natürlich), zusammen verbrachte, zuerst im Callejón 7B, einer Brauerei mit großartigen Bieren und Snacks, und später im Rincón Huasteco, wo wir nochmal richtig bei den herausragenden Tacos, Enchiladas, Tamales, Enfrijoladas und Bocoles zuschlugen. San Luis Potosí ist eine wirklich unterhaltsame Stadt, die alles bietet, was der Tourist erleben will. Nunca nos vamos a ir, das war das Motto des Abends, und ich fühle und vermisse es heute noch.



Ein Kommentar zu “Mit der Eisenbahn unterwegs – Estación Ipiña Mezcal Blanco”