Apfel und Buch – Le Calvados Pays d’Auge de Christian Drouin XO

Le Calvados Pays d'Auge de Christian Drouin XO Titel

Ein äußerst angenehmer Nebeneffekt der Tätigkeit als Spirituosenjuror ist es, die Hersteller großartiger Brände persönlich kennenzulernen. Man kann über mehrere Tage immer wieder lockere Gespräche führen, herausfinden, wie die Person tickt, und damit die Produkte besser verstehen. Hin und wieder schreibt so einer dann auch ein Buch, und gibt damit viel seines Wissens an die Community weiter, gerade bei eher nischigen Dingen ist das unermesslich viel wert für den interessierten Schnapsnerd. Calvados ist zwar weltbekannt, aber dennoch gibt es mehr darüber zu lernen, als man denkt. „Le livre des Calvados: Des racines normandes, Une ambition mondiale“ ist ein wunderbares Beispiel dafür, ein toll aufgemachtes Buch, in dem Christian Drouin, seines Zeichens sicher einer der wichtigsten modernen Calvadosbrenner, etwas über seine Profession und Leidenschaft erzählt.

Ich bin natürlich froh, das Buch bei einem unserer gemeinsamen Spirituosenwettbewerbe signiert bekommen zu haben, das war während der Coronapandemie bei Spirits Selection 2021 in Brüssel, ein unter sehr komplizierten Bedingungen stattfindendes Event, umso besser hat man sich da kennengelernt, und besonders stolz bin ich natürlich auf diese persönliche Widmung des Autors.

Das Buch legt die Theorie fest, selbstverständlich muss diese dann auch in die Praxis überführt werden. Dazu nehmen wir einfach ein bewährtes Getränk aus dem Hause des Autors heran, den Le Calvados Pays d’Auge de Christian Drouin XO. Er wird hergestellt aus einer Mischung von Apfelsorten, die geschmacklich zwischen bitter, süß und scharf variieren, und, wie es für die Calvados aus der Region Pays d’Auge erlaubt ist (sowas lernt man zum Beispiel aus dem Buch!), einer kleinen Beigabe von Birnen. Die doppelte Destillation erzeugt einen Brand, der für den XO in kleinen vorbenutzten Fässern gelagert wird, die teilweise mit Wein, teilweise fortiziertem Wein, teilweise Brandy vorbelegt waren. Eingestellt auf klassische 40% landet es in der Flasche, und dann bei mir im Glas.

Le Calvados Pays d'Auge de Christian Drouin XO

Zwischen Gelbgold und Senfgelb verorte ich die Farbe des Apfelbirnenbrands, man spürt schon beim Eingießen ins Glas eine gewisse Viskosität. Diese bestätigt sich beim Drehen des Glases dann, weiße Lichtreflexe entstehen, und ein fetter Film an der Glaswand, der sich dann in regelmäßige Beinchen aufteilt und abläuft.

Natürlich dominieren Apfelaromen die Nase, dabei wirkt es nicht so linear wie ein klassisches Apfel-Eau-de-Vie aus einer speziellen Varietät Äpfeln. Da findet man entsprechend ein buntes Potpourri aus süßen, herben und fruchtigfrischen Eindrücken; frisch aufgeschnittener Granny Smith ist dabei, Viez aus meiner Region, kräftiger Apfelsaft, gekochtes Apfelmus, und schließlich sogar etwas Bratapfel. Letzterer kommt über eine gewisse Gewürznote dazu, vielleicht aus dem Fassensemble, bestehend aus Zimt, Nelken und etwas Vanille. Ahornsirup könnte man finden, Honig und sogar etwas Kokos, man sieht, da ist viel Varianz und Komplexität drin, die mir viel Spaß bereitet.

Le Calvados Pays d’Auge de Christian Drouin XO Glas

Das Wasser läuft einem wirklich schon beim Schnuppern im Mund zusammen, da bekommt man Lust auf den ersten Schluck. Der Antrunk zeigt erstmal eine optisch ja schon gesehene, dicke Textur, wirklich dicht und fett, mit fast schon sirupartigem Ersteindruck. Aus dieser vollen Basis entstehen die Geschmackseindrücke, deutlich eher in die Richtung von verarbeitetem Apfel als von frischer Frucht, Pürree, Mus, Kompott, so etwas. Die kräftige Süße wird im Verlauf sowohl von angenehm herben Bitternoten als auch von würzigen, eigentlich schon eher pikanten Aufhellern aufgefangen, das wirkt erwachsen und reif, man spürt kaum den Alkohol, und im Abgang bilden sehr prägnante Kokosfleisch-Noten und feine Backapfeltöne einen langanhaltenden, warmen und dabei immer vollgerundeten Nachhall.

Ein Brand, der sich zum langsamen, gemütlichen Genießen ebenso eignet wie als Zwischentrunk im Sinne eines Trou Normand, oder vielleicht als Digestif zu Crêpes. Ja, das kann ich mir richtig gut gerade vorstellen, und lässt mir noch mehr Wasser ins Maul laufen. Wunderbar gemacht, komplex und süffig, unkompliziert und schlicht toll.


Das Rezept zum The Big Apple habe ich aus Drouins Buch, natürlich, es enthält eine durchaus lange Liste von Cocktailrezepten auf Calvadosbasis, mit mehr oder weniger kreativem Charakter, für Cocktailfreunde sicherlich ein zusätzlicher Grund, sich das Buch zuzulegen. Dieser hier ist jedenfalls ein wunderbar fruchtiger Drink, der von einem so üppigen Calvados wie dem Drouin XO extrem profitiert.

The Big Apple Cocktail


The Big Apple
1oz/ 30ml Calvados
1oz / 30ml Pfirsichlikör
1oz / 30ml trockener Wermut
Auf Eis rühren, auf einem großen Eiswürfel servieren.

[Rezept nach Jean-Paul Thomine]


Man bekommt in dem edlen Geschenkkarton eine schöne, unaufgeregte, aber schwungvolle Flasche, ein Synthetikkorken schützt den Inhalt praktisch. Hübsch gestaltete Etiketten mit einem Wachssiegelimitat an der Front machen den Calvados zu einem edlen Mitglied der Heimbar, kein flashiger Protzer, mehr ein Gentleman. Das passt zu Christian Drouin selbst, und es freut mich, dass der Hersteller ein höchstsympathischer Mensch ist, ein Gentleman alter Machart, der aber immer und laut lacht. Ich kenne ihn, wie gesagt, inzwischen seit mehr als 7 Jahren als Mitjuror beim Spirituosenwettbewerb Spirits Selection by CMB, und freue mich immer wieder, ihn zu treffen, das erhöht den Genuss seiner Calvados für mich noch weiter. Man kann und sollte sie aber auch trinken, ohne ihn zu kennen, denn sie stehen für sich auf höchster Stufe der Kategorie, ohne Frage. Aufforderung zum Schluss: Buch kaufen, lesen und lernen, Flasche kaufen, trinken und lernen!

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.