Die Inspiration, welche Spirituose man sich zulegt, kommt von unterschiedlichsten Quellen. Mal kauft man spontan was in einem Laden, ohne irgendwas drüber zu wissen; gerne nehme ich was aus Destillerien direkt mit, als Kombination aus Souvenir und Genussmittel; und ab und zu bekommt man was mehr oder weniger aggressiv aus Onlineforen, Chats oder Magazinen nahegelegt, und will überprüfen, ob der Lärm gerechtfertigt ist. Auf den Balcones True Blue 100 Proof Straight Corn Whiskey bin ich durch Robin Robinsons Buch „The Complete Whiskey Course: A Comprehensive Tasting School in Ten Classes“ gestoßen; ich schätze sowohl den Autor als auch sein Buch sehr hoch, wer sich für diese Art Spirituose interessiert, sollte sich das Buch definitiv vormerken. Ich bin sehr stolz, dass Robin Robinson mir das Buch bei einem unserer Treffen signiert hat.



Für jede Unterkategorie von Whisky gibt es in dem Buch „Drink This!“-Hinweise, und bei amerikanischem Whiskey fand ich recht prominent eben den True Blue. Die Kommentare dazu waren spannend, ich finde Corn Whiskey eh persönlich sehr interessant und schmackhaft, zum Beispiel den Mellow Corn; darum war das gar keine große Diskussion, er musste her. Dieser Whiskey wird aus „Blue Corn“, das ist eine besondere Maissorte aus dem Südwesten der USA (angebaut für Balcones in New Mexico), hergestellt – wenn man mal nach einem Bild googelt, weiß man sofort, warum dieser Mais so heißt, und man ist gespannt, wie sich diese besondere Farbe im Geschmack äußert. Der Alkoholgehalt wird für diese Abfüllung auf 50% eingestellt, man bekommt den Maisbrand von Balcones aber auch in Cask Strength.

Ungefärbt ist der True Blue (bei „Straight Corn Whiskey“ wäre das auch nicht erlaubt), dazu ungefiltert, und präsentiert dabei ein schönes Terracotta, leuchtend und strahlend. Die Öligkeit zeigt sich beim Schwenken des Glases, mit fetten Artefakten, die schlierig und langsam ablaufen.
In der Nase kommen erstmal viele weiche Holznoten an, Karotte, Vanille, leicht buttrig. Karamell zieht nach, und deutlich viel Ahornsirup. Toffee ergänzt im tieferen Register, ein Hauch von Rosmarin im oberen Register. Ein wirklich attraktiver Duft, schokoladig und mit Anklängen von Popcorn, wie man es von so einem Brand erwartet; dabei nicht oberflächlich süßlich, sondern man ahnt schon eine kräftige herbe Seite. Die Verwandschaft zu Bourbon ist klar erkennbar, viele Bourbons bestehen ja zu einem Großteil auch aus Mais.

Im Mund ist der True Blue dann aber noch einen Ticken süßer als ein Bourbon, immer noch klar verwandt, aber ein bisschen einfacher gestrickt. Das heißt nicht, dass der Brand langweilig ist, im Gegenteil – da geht vom Antrunk an ordentlich was ab am Gaumen. Kraftvoll, wuchtig, wild, mit einem Punch, der einem kurz den Atem nimmt. Kurz nach dem süßmilden Antrunk kracht es, Feuer expandiert dramatisch, eine harte Schärfe bringt Gaumen und Zunge zum Brennen, eine Mischung aus dem Alkoholgehalt und einer holzigen Würze. Es fehlt etwas an Tiefe, um das sauber auszugleichen, da muss man schon etwas leiden, dafür ist angenehme Breite da, die im Nachklang immer noch sehr chili-pikant dominiert, während gemächlich eine leicht mentholische Frische aufkommt. Leicht grünlich und vegetal fühlt sich das am Ende an, während die Wärme langsam nachlässt.
Nun, das kann ich nicht reines Gewissens jedem empfehlen, doch für die, die eine gewisse Härte in Spirituosen vertragen und vielleicht sogar mögen, wie ich, ist der True Blue sicher ein Drink, dem man respektvoll gegenübertritt und der einem dann viel bietet, wenn man hinter die grobe Fassade blickt, vielleicht ein Texaner, wie man ihn aus Western erwartet. Definitiv kein easy drinking jedenfalls, mehr was für den Tag, der am Abend eine Lockerung braucht, während man einen Film wie „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ oder „Die Glorreichen Sieben“ schaut.
Im Sunray wird normalerweise Bourbon eingesetzt, doch diese alte Vorkriegsrezeptur kann ruhig einen Schuss des sonnigen Texas in Form eines Corn Whiskys vertragen. Lustig finde ich auch, dass ausschließlich gelbe Zutaten (beim Whisky bin ich da etwas großzügig) eingesetzt werden; ein echter schwersüßer, aromatischer Sonnenstrahl an einem Herbsttag.

Sunray
¾ oz Bourbon
¾ oz Orange curaçao
¾ oz Cocchi Americano
¾ oz Orangensaft
Auf Eis shaken.
[Rezept adaptiert nach J.W. Tarling]
Die unauffällige Flasche wird von einem Echtkorken unter einem Plastikstöpsel verschlossen. Charmant finde ich immer, wenn wie hier Batchnummer und Abfülldatum angegeben sind. Das Etikett kommt einem in seiner blauen Farbe entgegen, ist aber sonst zurückhaltend gestaltet, mit einer dunkelblauen Maisstaude, die auf das Basismaterial verweist.
Ich war neulich für ein paar Stunden in Texas unterwegs, als ich auf der Reise nach San Luis Potosí eine Nacht Aufenthalt in Houston hatte. Auf der Hinreise war das Mitnehmen einer Flasche texanischen Sprits eher unpraktisch, und auf der Rückreise konnte ich im ganzen Flughafen keine einzige echt texanische Spirituose in den Shops finden, nur allgemein amerikanischen Whiskey. Schade, wenn ich was aus Texas hätte mitbringen können, hätte ich das nach dieser doch positiven Erfahrung mit Balcones sicher gemacht.