Mexikanische Wahlen – Júrame Mezcal Artesanal Joven

Júrame Mezcal Artesanal Titel

Sie kam plötzlich und unerwartet, die Einladung zu México Selection by CMB 2024 in San Luis Potosí, aber so etwas schlägt man natürlich niemals aus. México Selection by CMB ist eine Hybridveranstaltung, bei der ausschließlich mexikanische alkoholische Produkte verkostet und bewertet werden; Wein ist der Hauptfokus, doch viele Spirituosen sind natürlich in Mexiko beheimatet und werden hier behandelt. Für mich bedeutete das, an drei Tagen jeweils rund 30 Spirituosen zu verkosten, beschreiben und zu bewerten; ein ähnlicher Aufwand, wie es bei anderen Wettbewerben der Fall ist. Natürlich genoss ich es sehr, eigentlich ausschließlich Spirituosen vor mir zu haben, die ich vom Stil her grundsätzlich mag: Mezcal war der Löwenanteil, gefolgt von Tequila, Sotol, Bacanora, Raicilla und Destilado de Pulque. Hidromel (also Met) war dabei, und viele „destilado con“, also mit zusätzlichen Zutaten destillierten Agavebränden, das bekannteste davon ist wahrscheinlich Pechuga. Ich wäre ein Idiot, würde ich mich beklagen, die paar Gins und Wodkas, die dabei waren, waren auch von hoher Qualität.

Der Júrame Mezcal Artesanal Joven hat, wie schon öfters zuvor, bei der Veranstaltung eine Goldmedaille gewonnen. Da die Verkostungen natürlich blind erfolgen, habe ich keine Ahnung, ob ich ihn vor mir im Glas hatte, und wenn ja, wie ich ihn bewertet hatte; im Nachhinein bin ich mir aber fast sicher, dass es nur gut sein konnte. Ich habe eine Flasche vom Besuch der Taberna dort mitgebracht, und zuhause die Verkostung wiederholt und mir ein paar Tasting Notes, wie immer, niedergeschrieben. Er ist aktuell nicht leicht in Deutschland zu bekommen, doch jeder Aufwand, den man betreibt, ihn zu sich nach Hause zu holen, ist es sicher wert, da nehme ich nichts vorweg. Wie er hergestellt wird, beschreibe ich am Ende des Artikels, das konnte ich direkt und live miterleben, großartige, unvergessliche Eindrücke. Genug geschwärmt, ab ins Glas damit.

Júrame Mezcal Artesanal

Normalerweise benutze ich für meine Tasting Notes ein Nosing-Glas, das ist klar. In diesem Fall habe ich mich aber dafür entschieden, die kleine Schale, die wir als Gastgeschenk vor Ort bekommen haben, einzusetzen. Man sieht auch darin, dass die Flüssigkeit klar und transparent ist, Beine kann ich so nicht direkt beurteilen, doch eine vorsichtige Viskosität schon.

Die Typizität der Salmiana-Agave springt einen aus der Schale dafür umso deutlicher an. Wer das einmal gerochen hat, erkennt es sofort; kaum eine andere Agavenart hat eine so prägnante Note mit extrem hohem Wiedererkennungswert. Eine Mischung aus ausgeprägter, milder tropischer Frucht, zusammengesetzt aus unreifer Ananas, überreifer Mango und Litschi, dazu eine gewisse, überhaupt nicht unangenehme Gumminote, viel Harz (das geht fast in die Richtung von Mastiha), Tannennadeln und verharztes Pinienholz, und schließlich eine volle Blütigkeit, die an Hyazinthen und Veilchen erinnert, und etwas Frangipani. Sehr vegetal, sehr grün, mit mineralischen Aspekten, ein wirklich besonderer Duft, und innerhalb der Agavenbrände klar ausmachbar. Rauch ist nur als eine Idee von Kaltrauch vorhanden, ganz zart, wenn man danach sucht. Insgesamt sind diese Komponenten perfekt ineinander integriert, da schnuppert man gern und lange dran.

Júrame Mezcal Artesanal Joven Glas

Im Mund denkt man initial, dass man einen Kirsch- oder vielleicht Vogelbeerbrand vor sich hat, wirklich extrem weich und zart, dabei aber aromatisch schwer und dicht. Die Textur nimmt sich Zeit, sich über den Gaumen zu legen, rund und voll, dabei nicht beschwerend, eher leicht. Ja, das erinnert verdammt an Vogelbeere. Süß ist der Antrunk, trockener wird es im Verlauf, der Júrame bleibt aber weich, zeigt keine Spur von Astringenz. Die 37% Alkoholgehalt mögen dem Nerd theoretisch zu niedrig erscheinen, im Mund sind sie für mich perfekt gewählt und bringen nur ein leichtes Kribbeln auf die Zunge und angenehme Wärme an Gaumen und Rachen. Leichte Pfeffrigkeit entsteht später, wenn die Agave ihre volle Aromatik ausspielt, mit angenehmer Grüne aus Blattschnitt, aber auch einer sich braun anfühlenden, erdigen Würze, die gerade im Schluss dunkle Kakaonoten, Kokosnussschale und Tabak mit sich bringt. Komplex und schillernd, angenehm zu trinken, im Finish frisch mit leichten Mentholaspekten und edler Bittere.

Das ist einfach wunderbar. Vielleicht bin ich beeinflusst, weil ich die Herstellung vor Ort miterlebt habe, doch ich glaube, dass das jedem gefällt, der Agavenbrände gern trinkt. Mild und trotzdem vollaromatisch, rund und trotzdem mit Spannung, ein wirklich herausragend gut gemachter Brand. Die mehrfach wiederholten Prämierungen für Júrame bei México Selection by CMB wie auch bei Spirits Selection by CMB sind kein Fake, mich wundert das kein bisschen.


Ein Eisbär in Mexiko? Das ist schon ein gewisser Kontrast, und gerade sowas spricht mich an. Dieser Riff auf einen Stinger braucht einen starken Mezcal als Hauptzutat, und alle Eigenschaften eines Salmiana-Mezcals drängen mich, diesen in so einer Rezeptur einzusetzen, und das klappt hervorragend, erst schmeckt man die Salmiana, die dann sehr rund in Minze übergeht. Im November war es nicht so heiß in San Luis Potosí, dass man eine wirkliche Erfrischung gebraucht hätte, aber ich kann mir vorstellen, dass ein Drink wie der Polar Bear im Sommer dort gut ankommen könnte.

Polar Bear Cocktail

Polar Bear
1½oz / 45ml Mezcal joven
¾oz / 23ml weißer Wermut
½oz / 15ml Crème de menthe
6 Tropfen Angelika-Tinktur (oder Celery Bitters)
Auf Eis shaken.

[Rezept nach Josh Harris]


Im folgenden zeige ich ein paar der hunderten von Bildern, die ich beim Besuch der Taberna (so nennt man in der Region San Luis Potosí eine Mezcal-Brennerei, nicht Palenque, wie weiter im Süden Mexikos) geschossen habe. Sie sollen einen groben Blick ermöglichen, wie so ein Artesanal-Mezcal hergestellt wird. Man wird schnell erkennen, dass die Kriterien des CRM, der offiziellen Regulierungsbehörde für Mezcal, hier leicht eingehalten werden: kein Autoklav beim Kochen, ausschließlich Agavenzucker und keine Fremdzucker, diese werden durch wilde Hefen fermentiert, und schließlich das Destillieren mittels einer Kupferbrennblase.

Der erste Schritt, die Ernte der Agaven, war natürlich schon erfolgt, als wir vor Ort waren. Man sieht die Agavenherzen, piñas genannt, die bereits von den spitzen, dornigen Blättern getrennt wurden. Meine Hand diene als Größenvergleich. Es handelt sich bei Júrame rein um die Art Agave salmiana subsp. crassispina, vor Ort oft auch einfach „Agave verde“ betitelt, historisch wird diese Art schon seit langer Zeit in der Region von San Luis Potosí verwendet.

Diese Agavenherzen müssen nun gekocht werden. Bei Júrame verwendet man dafür einen Steinofen („horno“). Er besteht aus einem gemauerten Raum, der mit Feuer beheizt wird. Die Befüllung des Ofens erfolgt von oben herab, denn so kann man den Raum besser nutzen. Mit Brettern wird der Ausgang geschlossen, aus diesem Ausgang werden die gekochten Agaven später herausgeholt.

Die Farbe ändert sich durch das Kochen von weißgrün nach braungelb. Mit Schubkarren werden die Herzen nun zur ersten Zerkleinerung transportiert. Für uns wurde eine herausgeholt und in kleinen Häppchen zum Probieren angeboten; man merkt, wie die Zucker in der Agave nun karamellisiert sind. Supersüß und aromatisch, die ausgekauten und ausgelutschten Fibern kann man ausspucken.

Die erste Zerkleinerung findet mit einem Doppelmühlstein statt, der maschinell angetrieben wird. Die Agavenherzen werden dabei zerdrückt und in kleinere Brocken aufgespalten. Man hilft mit Äxten aus, die Hauptarbeit der Arbeiter hier besteht darin, die Teile immer wieder unter die Mühlsteine zu platzieren, mit Mistgabeln und Harken, eine anstrengende Tätigkeit.

Den Saft der Agave extrahiert man dann in der zweiten Pressung. Die bereits zerkleinerten Stücke werden zum zweiten Mühlstein transportiert, und dort solange zermahlen, bis der Saft mehr als knöchelhoch steht. Der Mühlstein wird bei Júrame von einem Traktor bewegt, weiterhin gilt es, die Agavenstücke mit einer Mistgabel so zu schichten, dass der Mühlstein was zu mahlen hat.

Was geschieht mit den ausgepressten, vom Saft befreiten Fibern? Sie haben immer einen Einsatzzweck, sei es als Ausgangsmaterial für Stoff, als Zunder oder Brennmaterial, oder, wie bei Júrame, als beliebtes Futter für die Schweine, die hinter der Brennerei leben. Da immer noch genug Süße vorhanden ist, sind die Schweine ganz verrückt danach und schon als Frischling genießen sie diese nahrhafte und gesunde Speise.

Der Saft dagegen ist das wahre flüssige Gold. Er geht in die Fermentation, mit wilden Hefen, die die offenen Tanks einfach so inokulieren. Der Schaum ist dick auf dem breiten Tank, man sieht aus einem der runden, hohen Tanks noch den Dampf aufsteigen, der andeutet, wie warm die Fermentation abläuft. Hier endet die Produktionstour für uns, den Destilliervorgang konnten wir leider nicht sehen, doch da muss man auch nichts Ungewöhnliches erwarten – eine kleine Kupfer- und eine Edelstahlbrennblase mit refrescadera sind im Einsatz.

Im Gastraum, der außergewöhnlich hübsch gestaltet ist, bekommt man neben dem Mezcal selbst auch noch ein paar kleine Häppchen, toller regionaler authentischer Fingerfood. Im Nebenraum sieht man die kleinen Barriques, die hier für die Reifung genutzt werden; ein Reposado ist von Júrame im Portfolio. Für mich eine nette Ergänzung, aber die wahre Schönheit eines Mezcals sollte meines persönlichen Erachtens nicht durch generische Holzung gemindert werden.

Der Empfang war sehr herzlich und aufwändig; der Besitzer der Taberna, José Eduardo Lomelí Robles, führte uns persönlich herum und erklärte alles. Das Anstoßen am Ende der Tour war selbstverständlich.

Eine sehr schöne Seite des Besuchs waren sicher auch die mit bunten Kostümen ausgestatteten Folklore-Tanzgruppen, die zu traditioneller, sehr rhythmuslastiger Musik die charmante Begleitung unserer Gruppe vornahmen. Diese Gruppen werden von der Brennerei unterstützt, es ist ein Teil des „Zurückgebens“ an die Gemeinschaft, ein Thema, das dem Besitzer sehr wichtig ist.

Wenn ich mir selbst die Bilder anschaue, kommen die Eindrücke sofort zurück; die laute, klappernde Musik, die angenehme Wärme des ausgehenden mexikanischen Novembers, die leicht staubige Luft, der Geschmack der frisch karamelisierten Agaven, der Geruch der Kräuter… und natürlich die unvergleichliche Gastfreundschaft der Mexikaner, die mich wie einen der ihren aufgenommen haben. „Nunca nos vamos a ir“, den Trinkspruch habe ich immer noch im Ohr, und ich merke, dass ich mich in das Land, seine Landschaft, seine Leute und sein Flair schockverliebt habe. Ich werde dorthin nochmal zurückkehren, das ist nur eine Frage der Zeit.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

Ein Kommentar zu “Mexikanische Wahlen – Júrame Mezcal Artesanal Joven

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