Man sieht es schon in der Überschrift – die Agavenart Agave karwinskii hat im nichtbotanischgeprägten Sprachgebrauch unterschiedliche Ausprägungen. Madrecuishe, Madre Cuishe und Madre-Cuixe sind drei nur orthographisch unterschiedliche Schreibweisen für dieselbe Pflanze, kleinere weitere Unterschiede gibt es dazu. So wie es auch viele Arten gibt, diese Agave zu Mezcal zu verarbeiten. Heute stelle ich drei Produkte vor, die zumindest zum Teil die Madrecuishe enthalten und genau darstellen, wie unterschiedlich sich die eigentlich ähnliche Materialbasis sensorisch dann äußert: Fruto del Sol Espadín-Madrecuishe, Topanito Maguey Madre Cuishe, und Real Minero Barril Madrecuishe. Beim ersten und letzten handelt es sich um sogenannte Ensambles, also Zusammenstellungen von Agavenarten, etwas in der Mezcalwelt sehr übliches; der mittlere ist ein reinsortiger Mezcal.
Alle drei liegen mir als offizielle Samples des Herstellers vor. Spannend ist natürlich, dass bei Mezcal oft Batches deutlich variieren. Bei Fruto del Sol und Topanito hat man genug Material für die Samples, um dedizierte Labels inbesondere bezüglich Alkoholgehalt zu drucken; Real Minero lässt die Prozente handschriftlich eintragen, um diesbezüglich flexibler zu sein.
Wir beginnen mit dem Fruto del Sol Mezcal Artesanal Blanco Espadín-Madrecuishe. Die zwei Agavensorten im Namen latinisieren sich zu Agave angustifolia und Agave karwinskii, im Verhältnis 7:3 werden sie gemischt. Er ist mit 42% Alkoholgehalt milde und einsteigerfreundlich eingestellt. Als Blanco hat er natürlich keine Färbung, doch die schöne Öligkeit, die man beim Schwenken des Glases sieht, ist schon einen Blick für sich wert. In der Nase wird man direkt belohnt für diese Geduld, wunderbar, wie ohne Verzug die grasig-grüne Agaventypizität präsent ist. Nichts lenkt davon ab, ein Duft, wie ich ihn liebe. Hier ist kein gemüsiger Nebenton, kein übermäßiger Rauch, einfach die reine Agave. Leicht erdig, leicht kiesig, mit kleinen Erinnerungen an grünen Blattschnitt, ganz dezente Anklänge von frisch zerdrücktem Kardamom. Das ist so eine Spirituose, die muss ich gar nicht trinken, da schnuppere ich einfach sehr lange gern dran. Im Mund ist eine leicht laktische Säure das erste, was auffällt. Die Textur wirkt rund und voll, aber nicht schwer, trotz der unterschwelligen Süße, die bis zum Schluss da ist. Da sind leicht brotige Aspekte im Geschmack, nach Baguettekruste, die aber im Verlauf durch die Agave abgelöst werden. Danach findet sich auch eine gewisse Parfümkomponente, leicht floral, etwas Rosenwasser vielleicht. Angenehm trocken und mit feiner Pikanz und erst hier mit einem Anflug von Rauch klingt der Fruto del Sol aus, lässt die Agave lange am Gaumen am Leben, mit einem frischen, hellen Gefühl und etwas erdiger Salzigkeit. Sehr angenehm zu trinken, sehr unkompliziert, und dafür volle Agave, die Sortenmischung passt richtig gut.
Das ist ein guter Zeitpunkt, zu einer sortenreinen Abfüllung überzugehen: im Topanito Mezcal Artesanal Blanco Maguey Madre Cuishe ist namensgebende Agave allein verwendet worden. Mit 49% haben wir auch einen höheren Alkoholgehalt, was bei Mezcal eher typisch ist. Klar ist natürlich auch er, und bewegt sich lebendig im Verkostungsglas, viele kleine Tropfen an der Wand hinterlassend. Man denkt zunächst, ehrlich gesagt, an Obstbrand, wenn man die Nase in dieses Glas hält. Da sind Kirschen, Pflaumen, sogar ein paar tropische Früchte, sehr aromatisch und rund. Die Agave wird dabei nicht unterdrückt, man spürt selbst bei den prominenten Kirschen, dass hier eine vegetabile Ursache vorliegt, dies macht den Brand komplex und interessant, weil irgendwie vertraut und doch fremd. Süß und voll, ein schwerer Duft, der Lust aufs Probieren macht. Tut man das dann, geht der Fruchtreigen weiter, erneut finde ich richtig deutliche Kirschen, etwas Vogelbeere dazu, und dann Agavenfrucht. Deutlich salzig liegt das am Gaumen, dabei immer noch süß, mit angenehmer Sauerbitter-Komponente, da hat wirklich jeder Teil der Zunge was zu tun. Der Körper wirkt schwer, Rauch spürt man praktisch keinen, alles geht im Verlauf in ein leichtes Chilibrennen auf der Zunge über, und erzeugt dadurch am Ende ein frisches, minziges Mundgefühl, das von viel Agavenaromen gestützt wird. Wunderbar, wie sich im Topanito Maguey Madre Cuishe die Kulturen verbinden – wer gern ein hochwertiges Kirschwasser trinkt, sollte definitiv beim Topanito vorbeischauen.
Der dritte im Bunde ist wieder ein Ensamble – im Real Minero Ancestral Barril Madrecuishe kommen, wie man sieht, diesmal Barril und Madrecuishe zusammen, in einem pro Batch unterschiedlichen Verhältnis, bei meinem Sample ist es wohl rund 60:40. Das passt, denn beides sind Unterarten der Gattung Agave karwinskii. 53% Alkoholgehalt machen den Real Minero zum stärksten im Trio. Das Schwenken im Glas zeigt entsprechend einen deutlichen Film an der Glaswand, der sich in regelmäßige, dicke Beine aufspaltet. Die Nase findet hier eine ausgesprochen feine Eleganz, die Frucht drängt sich nicht wild nach vorne, sie will hier entdeckt werden. Kirschen, Pflaumen, reifer Pfirsich, man merkt, dass diese Agavenarten sehr fruchtig ausgelegt sind. Etwas Wachsmalstift, ein bisschen Süßholz, ein bisschen Koriander, hier ist Komplexität angelegt, die sich nicht direkt offenbart. Weiße Schokolade, fast cremig, unterstützt alles von der tiefen Basis aus. Der Gaumen muss ähnlich arbeiten – dezente laktische Säure, milde Süße, alles sehr elegant in ein Gesamtbild eingebettet. Man meint fast, eine Art Fruchtmousse im Mund zu haben, mit milder Frucht, etwas Sahne, alles natürlich mit der Vegetabilität und Grünheit der Agave. Später wird der Real Minero dann deutlich trocken, sehr prickelnd, stark würzig-salzig, und ein bisschen astringierend, während er dann die Agave in ihrer reinen Form aufblühen lässt und algige Aromen hinterlässt. Angenehm mentholisch und warm klingt er dann auf lange Zeit aus. Grandios im initialen Understatement, dramatisch im Ausklang.
Ich muss es sagen: das sind alles drei wirklich gut gemachte Agavenbrände, und alle haben ihre Stärken, die für mich für unterschiedliche Stimmungen bestens geeignet sind. Will ich einen unkomplizierten, aber trotzdem sehr aromatischen Mezcal, nehme ich den Fruto del Sol. Für einen schweren, wuchtigen, fruchtlastigen Moment nehme ich den Topanito. Und will ich Zeit mit einem Brand verbringen und Finesse genießen, ist der Real Minero das Mittel der Wahl. Mit keinem der drei kann man auch nur ansatzweise etwas falsch machen.



