Es waren gefühlt die letzten Tage des Sommers, als ich Ende August als Mitglied der internationalen Jury für die German Rum Awards in Berlin war. An einem Tag regnete es, doch die Temperatur war immer noch hoch – und als wir Juroren mit einem guten Dutzend weiterer Teilnehmer ins Hinterzimmer der Bar Franzotti in Kreuzberg eingeladen waren, um die neuen S.B.S. Origin Selection Rums des dänischen Abfüllers 1423 mit als erste probieren zu dürfen, staute sich dort die Luft in einem fast schon unterträglichen Maße. Die Idee der Veranstalter Joshua Singh und Nina Jack-Crap, jeden der zu verkostenden Rums auch direkt parallel in einem eiskalten Daiquiri anzubieten, löste sowohl den Hitzestau als auch die Stimmung, und Joshua hatte große Mühe, sich gegen die plappernden Rumnerds, die sich dort in dem kleinen Raum zusammengefunden hatten, durchzusetzen. Eine interessante Reihe hat 1423 da veröffentlicht, die Idee ist, ungereifte Rums aus verschiedenen Regionen bereitzustellen – die wachsende Beliebtheit klarer Spirituosen zeigt sich auch in solchen Bewegungen.
Vorgestellt wurden also vier Rums, aus Jamaica, den französischen Antillen, der dominikanischen Republik und Guyana. Letzterem, dem 1423 S.B.S. Origin Selection Guyana PM Single Origin Rum, will ich hier den Artikel widmen, denn die Probe an diesem Freitagabend war für mich bereits sehr aufschlussreich, und ich habe am nächsten Tag auf dem German Rum Festival dann am Stand von 1423 direkt die hier vorgestellte Flasche erworben. Gebrannt wurde er, wie die Abkürzung im Namen schon klar macht, aus Melasse in der berühmten Port-Mourant-Potstill, die aus Holz besteht und nach einer mehrfachen Wanderung durch die von Schließungswellen betroffene Destilleriewelt Guyanas nun bei DDL ihr Heim gefunden hatte. 2021 war das, im Jahr darauf wurde er mit 57% Alkoholgehalt abgefüllt. Ungereifter Port Mourant? Diese drei Worte allein waren für mich mehr als genug Begründung, die Flasche haben zu wollen!
Der Rum wurde, wie gesagt, nicht in Holz gereift, daher haben wir eine transparente und klare Flüssigkeit vor uns, ohne Trübung, Partikel oder andere Fehler. Im Glas bewegt sie sich allerdings wie Öl, schwer und träge schwappt sie hin und her, und innen am Glas bildet sich zunächst ein durchgängiger Film, der Adern entwickelt und dann wie Sylvester Stallones Arm in Over the Top aussieht.
In der Nase kommen direkt extrem erdige Aromen an, feuchter Waldboden, Champignons und nasse Baumrinde sind die Assoziationen, die mir einfallen. Etwas Dunkelgrünes ist da auch dabei, eine Idee von Harz, das kombiniert sich dann gut mit ganz dezentem Pfirsich und einem Hauch von Litschi. Man riecht etwas Ethanol, und dieses gibt nach Offenstehzeit dann Helle und Frische dazu. Interessant ist, wie stark sich die Eindrücke wandeln, wenn der Brand atmet, die Erdigkeit löst sich auf und kippt fast in Richtung Plastik, ohne unangenehm zu werden.
Der Geschmack ist schon viel typischer für die Herstellungsregion, initial sehr süß und weich am Gaumen, mit dicker Textur, die zum optischen Eindruck passt. Milde Zuckerrohraromen finde ich da, grüne Würze, Sternanis und Kokos, ohne dass etwas hervorsticht – es bleibt, was identifizierbare Geschmäcker angeht, eher zurückhaltend. Man erkennt etwas Medizinales, Iodisches, ohne dass es wirklich übernimmt. Der Verlauf bringt stattdessen eher Effekte hervor, eine tolle Dichte, die mit der Würze zusammen ein grandioses Mundgefühl erzeugt, mildsalzig, leichtherb, so richtig deftig den Mund ausfüllend und kitzelnd. Eine richtig angenehme, dabei sehr wuchtige Struktur, bei der sich der Alkoholgehalt von 57% gut einbindet. Im mentholisch-hauchigen Abgang tauchen dann noch ganz leichte Vanillearomen auf, die sich mit dem etwas grasigen Gesamteindruck verbinden.
Ich vergleiche das mal parallel mit dem 11 Jahre holzgereiften Rum Exchange Guyana Port Mourant Pure Single Rum, den ich hier gerade zufällig offen habe, und stelle fest, dass da kaum Ähnlichkeiten sind; geruchlich und geschmacklich sieht man hier wunderbar, wie die Holzreifung ein Destillat komplett verändern kann. Die grundlegende Süße bleibt noch erhalten, die Medizinialität verstärkt sich aber enorm, die Würze wird ausgeprägter und definierter, der gesamte Eindruck ist trockener, schlanker und prägnanter: aus dem eher dicklichen Kind wird ein drahtiger Erwachsener. Die Anlagen sind im Guyana PM schon gelegt, das Holz erzieht den Brand und wählt Eigenschaften aus, die erhalten bleiben, und welche, die ausgemerzt werden. Ich finde es toll, so einen Vergleich machen zu können – allein dafür lohnt sich der Kauf eines ungereiften Brands für einen Rumfreund schon.
Auf dem Rücketikett des Guyana PM schlägt der Abfüller vor, diesen Rum pur oder auf Eis zu genießen, oder ihn zu benutzen, „to elevate your cocktails“. Das ist natürlich eine Vorlage, die mir gefällt! Die grasige Natur eines Port Mourants lässt sich gut in einem Drink unterbringen, der dieses schon im Namen fordert – der Secret Life of Plants spielt mit all den Eindrücken, die wir in den Tasting Notes schon irgendwie gefunden hatten, und betont sie. Eine wunderbare Synergie, für die es sich lohnt, die Mühe in Kauf zu nehmen, sich einen Mango-Oolong-Sirup zuhause herzustellen.
Secret Life of Plants
1½oz /45ml ungereifter Overproof-Rum
¾oz / 23ml Limettensaft
¾oz / 23ml Mango-Oolong-Tee-Sirup
¼oz / 7ml Orgeat
¼oz / 7ml Falernum
10 Tropfen Salzlösung
1 Spritzer Absinth
Auf Eis shaken. Mit crushed ice auffüllen.
[Rezept nach Emily Mistell]
Die S.B.S. Origin Selection ist für alle Flaschen gleich designt, das dunkle Glas, dazu Kunststoffkorken und Etiketten, die in einem etwas seltsamen, blassen Farbton gehalten sind und fast selbstausgedruckt wirken. Nun, das sind Designentscheidungen, bestimmt gefällt das also jemandem. Das untenstehende Foto wurde im schummrigen Zimmer der Bar Franzotti aufgenommen, das erklärt die etwas schlechte Qualität – aber mit all den verschwitzten und halbbetrunkenen Menschen dort, ich nehme mich davon gar nicht aus, war es vielleicht gar nicht schlecht, dass das Licht nicht heller war.
Interessant sind letztlich alle, ohne Frage, und ich finde es persönlich toll, dass ein Abfüller auch mal ein bisschen andere Wege geht, statt nur noch den zwölften zwölfjährigen Barbadosrum, den man inzwischen in- und auswendig kennt, unter die Leute zu bringen. Ich verbinde mit dem Guyana PM heute halt darüber hinaus noch den tollen Ausflug nach Berlin, die German Rum Awards, den verrückten Abend, der dann spätnachts noch zu Curry36 führte, und schließlich in der Zyankali Bar endete, die man einfach erlebt haben muss, wenn man in Berlin unterwegs ist. An diese irre Kreuzberger Nacht erinnere ich mich jedesmal, wenn ich einen Schluck dieses besonderen Rums trinke.