Der moderne Feld-Wald-und-Wiesen-Rumfreund ist ein seltsames Biest. Er hat Zugang zu den meisten Rumsorten, ausreichend Resourcen, um sie sich auch zulegen zu können, und dazu mit der größten Informationsquelle der Menschheitsgeschichte auch die Gelegenheit, sich über Rum zu informieren. Gleichzeitig muss ich aber beklagen, dass nur mäßig Interesse daran besteht, dieses goldene Rumzeitalter auch wirklich zu nutzen, außerhalb des Trinkens – selbst große Freunde des Zuckerrohrbrands wissen manchmal nicht wirklich viel über ihr Getränk.
Um so wertvoller sind Bücher, die auf angenehme und leichte Art und Weise Wissen vermitteln. Verkopfte Fachbücher mögen dem nach vielen Details Suchenden eine große Hilfe sein, und flache, nur als Fachbuch getarnte Werbebroschüren von Herstellern und Verkäufern einen einfachen Einstieg ermöglichen. Doch das Feld dazwischen ist in deutscher Sprache dünn besiedelt. Um so überraschter war ich über Rum. Sonne der glücklichen Inseln. Geschichte, Bilder und Geschichten aus der Welt des Rums, erschienen erstmals 1969, mir vorliegend in einer großformatigen Nachauflage von 1976, im Verlag H. H. Pott Nfgr., der Name könnte Rumkennern etwas sagen. Als Urheber wird etwas verklausuliert Hans H. Krützfeld genannt.
Bis auf ein paar Absätze, die nichtmal übermäßig marktschreierisch klingen, haben wir hier ein neutral gehaltenes Fachbuch vor uns. In zugegebenermaßen sehr blumiger Sprache, mit vielen Anekdoten, Gedichteinsprengseln und humorigen Einlagen versehen, aber dennoch in der Basis ein Fachbuch. Man erwirbt durch die Lektüre der 134 groß bedruckten, mit viel Weißraum ausgestatteten Seiten ein solides Basiswissen was die Geschichte und die Herstellung von Rum angeht.
In manchen Absätzen ist der Kenner erstaunt, wie aktuell das Wissen ist, das hier vermittelt wird: manch modernes Buch erzählt so viele Fehler und ungenaues Zeug, dass man überrascht wird von Details, die man erst seit kurzem im Wissensschatz des Rumaficionados zu finden glaubte. Der Unterschied zwischen Dunder und Muck beispielsweise, die Esterzählungen bei Jamaica-Rum, die Unterschiede zwischen kontinentaler und tropischer Reifung; all das sind höchstaktuelle Diskussionsthemen, und man findet sie in einem Buch von 1969. Ein bisschen Demut kann das schon lehren. Man ahnt in manchen Beschreibungen von Produkten und Orten, welche Destillierien gemeint sind – Namen werden allerdings keine genannt, die Fokussierung auf Destillerien kannte man damals nicht.
Eine tolle Zusammenstellung von zeitgenössischen Illustrationen, Holz- und Kupferstichen, Lithographien und Gemälden in großformatiger, sehr hochwertiger Farbreproduktion machen das Buch zu einem echten Coffee-Table-Book, bei dem man herrlich den Blick über Zuckermühlen, Häfen, Landschaften und soziale Gewohnheiten streifen lassen kann. Das dicke Hochglanzpapier unterstützt durch angenehme Haptik diesen Aspekt.
Sehr wichtig ist, dass auch die negativen Aspekte der Geschichte des Rums nicht ausgelassen werden; der brutale Sklavenhandel, der die karibische Rumproduktion erst möglich machte, und die gnaden- und gedankenlose Ausrottung der nativen Bevölkerung durch die Kolonisten sind Themen, die man auch in einem Buch, das die Sonnenseite des Getränks im Titel trägt, ansprechen muss, denn für einen Großteil der an der Rumproduktion Beteiligten waren die „glücklichen Inseln“ die Hölle.
Natürlich hat das Buch aber auch seine fachlichen Mängel, oder vielleicht besser Abnutzungszeichen der Zeit, seit der es geschrieben wurde. Die Bewertung der Rumstile ist ganz aus der Sicht eines Verschnitthändlers geschrieben, Barbados-Rum wird als „fast körperlos“ beschrieben, Rum aus Kuba als nur zum Trinken im Longdrink klassifiziert. Technisch wird die Kolonnen-Destillation als sehr viel hochwertiger und besser als die Potstill-Destillation beworben. Sehr grob wird manchmal generalisiert, und die Bewertungen vieler Dinge sind eben in den 60er Jahren verhaftet und aus heutiger Perspektive schlicht falsch. Man muss also alles mit einem Körnchen Salz betrachten. Auch sprachlich muss man sich daran gewöhnen, dass ganz selbstverständlich von „Negern“ geredet wird, dies ist natürlich der Zeit zuzuschreiben, der Ton ist dabei aber nie abfällig.
Insgesamt finde ich dennoch, dass dies ein sehr lesenswertes Buch ist. Besonders die erste Hälfte, mit all den geschichtlichen und produktionstechnischen Details, ist auf aktuellem Stand. Die paar Mängel werden locker durch die großartige Gestaltung mit all den ganzseitigen Bildern und den Materialien ausgeglichen, und durch die Informationen über Dänemark und Flensburg und deren Einfluss auf die europäische Rumkultur. Wer also ein im lockeren Stil geschriebenes, extrem schön gestaltetes Rumbuch für den Kaffeetisch sucht, das auch noch handfeste Informationen enthält, macht bei Rum – Sonne der glücklichen Inseln nichts falsch.