Es ist spannend zu beobachten, wie sich die Wahrnehmung von Spirituosen ändert, sobald sie etwas verbreiterter werden. Gewiss ist Cachaça eine der meistproduzierten Spirituosen überhaupt, doch kennen tut sie außerhalb Brasiliens kaum jemand. Eine spannende Diskussion, was Cachaça nun eigentlich ist, nahm vor kurzem eine interessante Wendung. Musste ich früher harte Kämpfe ausfechten, um zu verdeutlichen, dass Cachaça kein Rum ist (manche wollten in ihrem Drang nach Kategorisierung diese Einordnung durchfechten), so ist inzwischen die völlig eigenständige Tradition von Cachaça einigermaßen akzeptiert – vom völlig unterschiedlichen Geschmacksprofil mal ganz abgesehen, was eigentlich die Basis für jede Kategorisierung sein sollte. Man merkte in solchen Diskussionen schnell, wer ganz offensichtlich noch kaum Cachaça probiert hatte, und trotzdem mitreden wollte.
In letzter Zeit hatte ich eigentlich hauptsächlich gereifte Cachaças im Visier. Hin und wieder muss man auch die „weißen“, eigentlich besser „ungereift“ bezeichneten Verwandten der braunen Spirituosen wieder fokussieren, um die ungeschnittene, rohe Basis nicht aus dem Blickfeld zu verlieren – hier findet man die ungefilterte Wahrheit über einen Brand, nicht abgemildert durch Holzeffekte und -aromen. Inzwischen kann man neben den Supermarktmassenprodukten auch hochwertigere Cachaças in Deutschland leicht erwerben – nehmen wir uns mal zum Beispiel die Fio do Bigode Cachaça vor.
Farbe ist keine vorhanden, kein Wunder bei einer ungereiften Cachaça. Keinerlei Einschlüsse sind zu sehen. Die Konsistenz ist nur leicht ölig, dennoch bilden sich dicke Tropfen und langsam ablaufende Beine am Glas. Der Geruch dagegen ist schon beim Eingießen präsent. Sehr intensiv und prägnant, typisch für Cachaça. Zuckerrohr, Malz, überreife Ananas, etwas frischgemähtes Gras, Kirschen, grüne Banane, Aquariumskies, feuchter Karton. Ich mag diesen Geruch einfach, er ist dicht und fett, charaktervoll und komplex.
Im Mund fällt das Niveau leider etwas ab. Der Antrunk ist sehr süß, schokoladig, mildkräuterig. Sehr weich und cremig im initialen Mundgefühl, für 40% Alkoholgehalt sehr zart – das ändert sich aber im Verlauf, denn ungereifte Cachaça hat noch eine gewisse Wildheit und Rohheit, nicht eingebremst durch mildernde Holzeffekte und -aromen. Da ist viel ungewohntes für den Trinker brauner Spirituosen, doch Cachaça gehört glücklicherweise zu der kleinen Gruppe von Schnäpsen, die auch in ihrer weißen Form sehr spannend zu trinken sind (ich zähle auch rhum agricole und ganz besonders Tequila dazu). Diese Aquariumkieskomponente, die ich hin und wieder bei Bränden finde, ist nicht ganz so meins, bei Fio do Bigode ist sie während des ganzen Trinkerlebnisses dominant. Ananas, grüne Banane, Zitrusfrucht komplettieren das Fruchtbouquet.
Der Abgang ist chili-scharf, heiß, trocken, die mineralische Komponente bleibt am Gaumen. Von der Länge her würde ich mittellang sagen, die Aromatik klingt nur langsam ab.
Für den Purgenuss habe ich rundere Cachaças im Sinne (der Hersteller, von dem darüberhinaus die vielleicht bekannteren Germana-Cachaças stammen, selbst übrigens scheinbar auch, der diesen Rumbrand als Mixer vermarktet), für einen Cocktail ist Fio do Bigode genau das richtige, um knackige, dichte Zuckerrohrsaftbrand-Aromen zu transportieren, ohne gleichzeitig die Fusel und alkoholischen Spitzen, die viele Massencachaças haben. Der Brazilian Hurricane ist, mit Fio do Bigode zubereitet, ein sehr attraktiver Drink – eine tolle Mischung aus kräftiger Säure, milder Süße und kantiger Bittere.
Brazilian Hurricane
2½ oz ungereifte Cachaça (z.B. Fio do Bigode Cachaça)
1 oz Maracuja-Sirup
1 oz Limettensaft
¼ oz Grenadine
Auf Eis shaken. Auf Crushed Ice servieren.
[Rezept nach Rhein Haus, Seattle]
Witzig, wenn auch höchstunpraktisch finde ich den Kronkorken, mit dem die Standardflasche verschlossen ist. Zum Glück findet sich ja in einer Heimbar immer ein Korken einer aufgebrauchten Flasche, der als Ersatz herhalten kann. Ich bin mir im Unklaren darüber, was der Hersteller mit einem derart seltsamen Verschlussmechanismus für eine Spirituose, die ja selten genug so schnell wie ein Bier aufgebraucht wird, bezwecken wollte – vielleicht trinkt man in Brasilien so ein Fläschchen Cachaça aber auch schneller als wir hier in Deutschland.
Noch ein paar Worte zu den Details, die auf diversen Etiketten der Flasche zu finden sind – eine handeingetragene Chargennummer ist vertrauensbildend, dass wir hier kein Massenprodukt vor uns haben; ein Qualitätssiegel am Flaschenhals ebenso. Das Zuckerrohr wird entsprechend biologisch aufgezogen und handgeerntet. Die Fermentation erfolgt über wilde Hefen, und die Destillation in einer Kupferbrennblase in einem Schritt auf 55% Alkohol, bevor zur Abfüllung noch Wasser zugegeben wird. Das bunte Etikett wirkt, man möge mir den schrägen Vergleich entschuldigen, wie von Osamu Tezuka gezeichnet – hat zwar Charme und ist sehr auffällig, trifft aber nicht so ganz meinen Geschmack.
Offenlegung: Ich danke Barrel Brothers für die kostenlose Zusendung einer Flasche dieser Cachaça.
Ein Kommentar zu “Sie ist kein Rum – Fio do Bigode Cachaça”