Was wird der nächste Trend sein? Diese Frage kommt oft in sozialen Medien bezüglich Spirituosen auf. Was wird „der nächste Whisky“ oder „der nächste Gin“? Persönlich habe ich keine Ahnung, und auch nur mäßiges Interesse daran. Ich trinke Spirituosen nicht, weil sie gerade „in“ oder „hot“ sind, sondern weil ich sie mag. Gern propagiere ich auf meinem Blog auch Spirituosen, die meiner Meinung nach in der aktuellen Phase im Meinungsbild und Popularität zu Unrecht unterrepräsentiert sind – dies trifft derzeit, so glaube ich, auf deutschen Korn zu.
Cocktailhistoriker David Wondrich sieht das ähnlich. Auch er findet deutschen Korn (das ist eigentlich, genau betrachtet, ein Pleonasmus, denn Korn muss immer in deutschsprachigen Gebieten hergestellt werden, um als solcher verkauft werden zu dürfen) spannend, und zieht ein sehr kluges und einsichtsvolles Fazit.
„Der ist ein altes Getreidedestillat, manchmal im Fass gelagert, leichter im Geschmack als die meisten Whiskeys, aber reicher als Wodka. Deutscher Korn ist das Missing Link zwischen Whiskey und Wodka.“
Wie bei den meisten Spirituosen finden wir aber natürlich unterschiedliche Ausbau- und Qualitätsstufen. Der klare Doppelkorn in 2cl-Flaschen an der Supermarktkasse bildet den Bodensatz der Kategorie für die Wirkungstrinker; Produkte wie der Sasse Cigar Special dagegen die Krönung: immerhin hat der Brenner Sasse 300 Jahre Kornerfahrung. Jener Cigar Special wird hergestellt aus Weizen- und Gerstenmalz. 2009 kam das Destillat ins Ex-Cognac-Fass und durfte dort 3 Jahre ruhen, danach folgte noch ein Finishing in amerikanischer Eiche. Man könnte von einem kategorienübergreifenden Schnaps sprechen, denn er erfüllt auch die Kriterien für Whisky (mindestens 3 Jahre Fassreifung).
Sonnenblumengelb, erkennbar viskos, ich tendiere schon fast dazu „dickflüssig“ zu sagen. Langsam ablaufende Beine am Glas passen sich dem an. Ich rieche zunächst sehr viel Vanille, Eiche – könnte hier das Finishing in Fässern aus amerikanischer Eiche Verantwortung tragen? Eine mehr als nur gewisse Erinnerung an Bourbon ist jedenfalls da. Süßes Obst, Pfirsich und Litschi. Orange. Sehr leichte Lösungsmittel- oder Alkoholnoten.
Der Geschmack ist dann nach dieser Ouvertüre erwartungsgemäß süß. Mild und schwer zwar im Mundgefühl, dennoch überwiegt der Eindruck eines eher leichten, helltönigen Körpers, mit einer eleganten Trockenheit vom Antrunk an bis zum Schluss. Die 40% Alkoholgehalt sind kaum zu spüren. Es wiederholt sich der Eindruck der Fruchtigkeit: Pfirsich, Aprikose, Litschi. Im Abgang wird der Cigar Special dann würziger, bleibt dabei aber dennoch höchstzart. Aromatisch ist der Abgang eher kurz, effektmäßig dafür lang, warm und weich. Deutliche Adstringenz. Etwas Eisen (wie Blut) und ein Touch von Rauch hallen nach.
Fein und gut komponiert – im Gegensatz zum Lagerkorn aus demselben Haus ein erkennbar schwerer Brand mit anderer Reifung. Der dort angesprochene Vodka-Charakter ist praktisch völlig verschwunden – ich gehe davon aus, dass dies eine Folge des zusätzlichen Einsatzes von Gerstenmalz ist.
Entsprechend würde ich den Sasse Cigar Special auch als sehr attraktive Alternative zu einem Whisky, insbesondere einem Bourbon, in Cocktails sehen. Die Verwendung des deutschen Korns anstelle des amerikanischen Bourbons gibt einen netten, aufhellenden Touch an whiskylastige Drinks, wie den Clockwork. Damit kann man vielleicht sogar den einen oder anderen Bourbonfreund überraschen!
Clockwork
2 oz Bourbon (oder hier Sasse Cigar Special)
¾ oz Lillet Blanc
½ oz Amaro
¼ oz Gomme Sirup
[Rezept nach Josh Sullivan]
Eigentlich hätte ich diesen Artikel anders eingeleitet. Die Bloggerkollegen von cocktailbart.de haben mir aber den Wind aus den Segeln genommen und den Gag, den ich zu Beginn bringen wollte, frech weggeklaut. Am Schluss soll er aber doch noch zu Sprache kommen, der gute Heinz Erhardt, mit seinem Beitrag zur Korndebatte.
Was hätte Heinz Erhard zum Sasse Cigar Special gesagt? Ich bin mir sicher, dass es ihm zunächst wie vielen gegangen wäre – das ist doch kein Korn, hätte er gesagt. Aber wenn man traurig ist, hilft so ein runder, schöner, dichter Kornbrand doch eh viel besser als ein einfacher Klarer, oder?