Mit einem Krug Wein zwischen den Blumen, Teil 7 – Shui Jing Fang Wellbay Baijiu

Shui Jing Fang Wellbay Baijiu Titel

Ich habe schon gegen viele Flaschen gekämpft, die sich stur weigerten, mir ihren Inhalt freizugeben. Billige Blechschraubverschlüsse drehen sich lieber doll gegen das Gewinde, als sich abheben zu lassen. Die unsäglichen „Ausgießer“, eigentlich Nachfüllstops, sorgen für kaum dosierbare Abgaben in Vollschwall- oder Verschluss-Modus, nichts dazwischen. Glasstöpsel, die sich nur mit Schwarzenegger-Daumenkraft vom Hals herunterlösen lassen. Korken, die abbrechen und im Flaschenhals stecken bleiben. Vom Zucker festgekrustete Drehverschlüsse auf Likörflaschen, für die man eine Zange braucht. Die meisten dieser Genussverhinderer sind unbeabsichtige Design- oder Produktionsfehler, die dem Konsumenten mit schlimmem Durst das Leben schwer machen.

Beim Shui Jing Fang Wellbay Baijiu haben sich die Designer der Verpackung allerdings selbst übertroffen und sogar eine Dose entwickelt, bei der man erstmal Gehirnschmalz investieren muss, bevor diese chinesische Fingerfalle überhaupt die Flasche freigibt. Ich will eigentlich niemand den Spaß beim Herausfinden, wie man die Dosenhaube vom Sockel herabbekommt, nehmen. Am Ende dieses Artikels beschreibe ich es kurz, einfach, weil ich es so faszinierend finde – wer selbst dahinterkommen will, überspringe diesen Spoiler zum Schluss bitte einfach.

Shui Jing Fang Wellbay Baijiu

Nun, irgendwann hatte ich es dann doch geschafft, und wollte mir ein Gläschen dieses Baijius mit Starkaroma (浓香) eingießen, während ich die opulente Gestaltung der Präsentationsmaterialien bewunderte (auch dazu später mehr) – und was sehe ich? Einen Nachfüllstop aus Plastik! Es ist doch zum Verzweifeln, man könnte meinen, der Hersteller will nicht, dass man den Schnaps auch trinkt. Nach dieser Welle der Ups and Downs wollen wir nun aber wirklich endlich mal schauen, was der bei diesem monströs üppig präsentierten Produkt scheinbar unscheinbarste Teil, nämlich der Hirseschnaps selbst, zu bieten hat. Hat der Hersteller mit all seiner List etwa etwas zu verbergen?

Über die Farbe muss man nicht reden, sie ist nicht vorhanden. Leichte Viskosität mit nur zögerlich ablaufenden Beinen im Glas. Soweit, so unspektakulär. Der Geruch allerdings verströmt sofort weit im Zimmer, sobald man sich ein Glas davon eingießt. Die weißen Gummibärchen, die wohl Ananasgeschmack haben sollen – diesen Geruch verzwanzigfacht, und man hat einen Eindruck, wie dieser Baijiu riecht. Vergorener Pfirsich, Teer, Salmiak, Plastik – daran muss sich die westliche Nase wirklich erst gewöhnen. Und dann weiter immer wieder die weißen Gummibärchen. Ein paar würzige, dunkelschokoladige Beiklänge runden das ab.

Ein superungewohnter Geschmack springt einem dann ins Gesicht. Estergewalt, die jeden Jamaica-Rum erblassen lässt. Lakritzexplosion! Dazu Autoreifen, geschmolzenes Plastik, Klebstoff, Chlor und Salz. Im Verlauf leicht abschwächend, aber immer noch sehr speziell. Sehr süß, breit, und zitrusfruchtig, dies ist allerdings eine sehr exotische Fruchtigkeit, vielleicht Ananasschale. Grünes Gras und Anis.

Im Abgang ist der Shui Jing Fang Wellbay dann fast schon überraschend mild, und dabei trotzdem heiß. Lakritzaromen auf der Zunge, die langsam in Fruchtaromen übergehen, wenn die Ester sich im Mund verflachen. Von den Aromen kurz, von der Wärme her langer Abgang. 52% Alkoholgehalt sind typisch für Baijiu, vielleicht auch wegen der extremen Aromen aber kaum wahrnehmbar.

Nun habe ich doch schon so einige unterschiedliche Baijius getrunken, und mich mit dem Leichtaroma-Baijiu sogar etwas angefreundet. Die extreme Ungewohntheit eines Starkaroma-Baijius macht mir aber bis heute etwas zu schaffen, der Shui Jing Fang Wellbay noch mehr als manch anderer. Letztlich ging mir das aber auch mit weißem rhum agricole so, den ich bei den ersten paar Versuchen so gar nicht leiden konnte, und inzwischen bin ich ein Riesenfan des Geschmacks. Vielleicht geht es mir hier bald genauso? Die Zeit wird es zeigen. Tatsächlich empfinde ich aktuell, einige Monate nach meinem ersten Kontakt, bereits eine gewisse Verbundenheit, und entdecke tiefere Schichten, die ich vorher nicht wahrnehmen konnte.

Ein guter Schritt, sich an etwas heranzutasten, ist, den ungewohnten Geschmack mit anderen Zutaten in einem Cocktail auszubalancieren und damit gaumenfreundlicher zu gestalten. Im Cucumber Crush funktioniert das recht gut, eine wichtige Zutat dabei ist MNG (Mononatriumglutamat) – es sorgt für eine schöne zusätzliche Würze. Und wer chinesisches Essen schätzt, ist eh schon bestens bekannt mit MNG…

Cucumber Crush


Cucumber Crush
1 oz Shui Jing Fang Wellbay Baijiu
¾ oz Cointreau
¾ oz Limettensaft
1 oz Gurkensaft
½ oz Holunderlikör (z.B. The Bitter Truth Elderflower Liqueur)
1 Prise MNG
Alle Zutaten auf Eis swizzlen.
[Rezept nach Ulric Voelkel-Nijs]


Shui Jing Fang Wellbay KartonKommen wir nochmal zurück zur Verpackungsproblematik, die ich eingangs angesprochen hatte. Wenn ich es recht bedenke, ist die negative Haltung dazu eigentlich nicht angebracht. Tatsächlich finde ich es sehr apart, was der Hersteller hier um seinen Schnaps herum alles an optischen Tricks und Gimmicks auffährt. Beginnen wir mit dem Karton in sechseckiger Ausführung aus stabilem, dicken Material, das mit allerlei Text in chinesischen Schriftzeichen bedruckt ist.

Shui Jing Fang Wellbay Kartondetails

Versucht man, die Haube vom sehr schönen Holzsockel abzuheben, gelingt das erstmal nicht, ich habe mich dazu verleiten lassen, etwas Gewalt anzuwenden, doch kein Erfolg. Der Trick sind die kleinen Metalllöwenköpfe mit Ringen im Maul, die unten an der Haube angebracht sind – sie sind mehr als nur Dekoration. Sie sind herausziehbar und haben einen  dübelartigen Fortsatz, der Haube und Sockel miteinander verbindet. Man muss alle drei dieser Tempellöwen herausnehmen, dann geht die Haube leicht ab.

Shui Jing Fang Wellbay Sockel und Flaschendetails

Nun ist der Deckel herunter, und man kann erste weitere Details bewundern. Im Boden der Flasche, die im Sockel thront, erkennt man kleine Bilder chinesischer Tuschemalereien, die Szenen chinesischer Landschaften darstellen. Ganz apart gemacht, das muss ich zugeben, so hat man einen künstlerischen Hintergrund für den erdigen Schnaps gefunden, etwas, worüber man beim gemeinsamen Trinken sprechen kann.

Shui Jing Fang Wellbay Sockelinnenseite

Zu guter letzt ist noch etwas im Sockel verborgen, das erst zum Vorschein kommt, wenn man die Flasche dann endlich heraushebt – eine kleine, mit einem chinesischen Motiv bemalte Porzellanfläche. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll – das ist Luxus pur, eine Opulenz, wie man sie bei kaum einer anderen Spirituose antrifft, und dabei gleichzeitig mit einer Leichtigkeit und Zurückhaltung gemacht, dass ich einen leichten Seufzer ausstoße, jedesmal, wenn ich den Shui Jing Fang Wellbay aus dem Regal hole.

Ein Fazit fällt mir schwer. Allein die opulente Verpackung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich persönlich gewisse Schwierigkeiten mit Starkaroma-Baijius habe. Doch kenne ich Leute, die gerade diese Stilrichtung des chinesischen Hirseschnaps besonders mögen, und die Millionen von Chinesen, die ihn regelmäßig trinken, können ja auch nicht so falsch liegen –  Anfängern in Sachen Baijiu würde ich aber deutlichst abraten, und stattdessen etwas weniger ausgeprägtes empfehlen, um sie nicht von Anfang an zu verschrecken. Für mich persönlich bedeutet das: Weiterüben, weiterverkosten, versuchen, zu verstehen. Der Weg ist das Ziel, sozusagen – und da der Shui Jing Fang Wellbay Baijiu einer der sehr wenigen chinesischen Baijius ist, die man ohne sich zu verrenken in Deutschland auch tatsächlich kaufen kann, hoffe ich, dass noch mehr Spirituosenfreund diesen Weg mit mir gehen werden.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

2 Kommentare zu „Mit einem Krug Wein zwischen den Blumen, Teil 7 – Shui Jing Fang Wellbay Baijiu

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