Quo vadis, taberna? Was erwartet uns 2017 hinter der Bar? Blogparade

Gegen Ende des Jahres sind sie sehr beliebt, jeder Fernsehsender hat sein eigenes Format und strahlt es über Stunden aus – der Jahresrückblick. Was hatte uns das noch nicht ganz vergangene Jahr gebracht? Wer waren die Menschen des Jahres? Welche Ereignisse haben uns bewegt? Und – welche Trends haben sich rückblickend betrachtet entwickelt?

Der Rückblick ist leicht. Schwieriger wird es, soll man in die Zukunft blicken. Anhand bestehender Informationen ermitteln, welcher Trend, der aktuell nur aus diffusen, unverbundenen, unterschwelligen Strömungen in einem Mikroklima besteht, sich verfestigt und tatsächlich einen Einfluss auf unser Leben hat – um hier einen Treffer zu landen, braucht man vor allem Glück, mit Riecher kann man sich zwar vorbereiten, doch der Blick in die Kristallkugel bringt immer das Risiko mit sich, von der gnadenlos folgenden Realität eins auf die Hellsehernase zu bekommen.

Natürlich riskieren wir es trotzdem, schließlich haben wir Spirituosenblogger einen unschätzbaren Vorteil vor anderen Bloggern und Wahrsagern: Wir können uns den fehlenden Mut dafür einfach antrinken. Mit einem guten Tropfen chinesischen Baijius (meinem rein persönlichen Spirituosentrend, dem ich seit Anfang des Jahres eine 12-teilige Reihe auf meinem Blog widme) vor mir stehen werfe ich also die Frage in den Raum: Was erwartet uns 2017 in der Spirituosenwelt? Ich schließe mich hier den anderen Bloggern an, die im Bartrends-2017-Projekt ihre Eindrücke sammeln.

2017 Schriftzug

Rum als „the next big thing“ wurde 2016 schon vorhergesagt, im ersten Quartal habe ich davon noch nichts gespürt. Wird es dann doch vielleicht Brandy? Da müsste noch extrem viel passieren, bevor ich daran glaube. Oder doch eher Kümmel? Mezcal wurde ja schon seit einiger Zeit als Geheimtipp gehandelt, der kommt aber auch nicht so richtig in die Puschen. Ein recht neuer Player bahnt sich auch den Weg – schafft es vielleicht das Craft-Bier, sich nun doch aus der Nische zu befreien und einen zweistelligen Produktionsanteil zu sichern?

Man sieht – der nächste angesagte Trend bei Fachveröffentlichungen ist immer das, was der Autor gern hätte, dass eben Trend wird. Dadurch hofft der eine oder andere vielleicht, eine selbsterfüllende Prophezeiung in Gang zu setzen; in schnelllebigen Branchen wie der unseren ist das auch bei weitem nicht so weit hergeholt, wie es sich anhören mag – wir leben von Mundpropaganda und orientieren uns gern an unseren großen Vorbildern. Schließlich ist Geschmack immer noch eine der subjektivsten Dinge, die wir kennen, objektive Kriterien als Maßstab für einen potenziellen Erfolg heranziehen zu wollen, funktioniert hier einfach nicht.

Man muss also auf die persönliche Ebene absteigen. Tatsächlich scheint mir persönlich der Haupttrend für 2017 die immer stärker werdende Diversifizierung der Spirituosenwelt zu sein. Es gibt eben keinen eindeutigen Trend hin zu einem speziellen Produkt oder einer Kategorie, sondern dahin, dass viele Spirituosen, die man über Jahre sträflichst in der Bar vernachlässigt hat, mit Verve ans Licht dringen, kurz aufleuchten und dann wieder verglühen, in hohem Tempo, in hoher Frequenz.

Verschiedene Amari. Foto: Shabbychef at English Wikipedia

Für mich persönlich sind das zur Zeit Obstbrände und Liköre, bei letztem vor allem Bitterliköre wie Amaro. Gerade letztgenannter scheint, verfolgt man die Fachpresse on- und offline, aktuell ordentlich Fahrt aufzunehmen: Die Zeiten, in denen diese Kategorie ausschließlich durch einen Ramazotti auf Eis am Ende einer Pizzaschlacht beim Italiener um die Ecke repräsentiert wurde, sind jedenfalls jetzt schon vorbei. Die Sortenvielfalt ist nun selbst in Supermärkten groß; bei Spezialhändlern bereits fast unüberschaubar. Auch das mag daher als Trend für 2017 dienen – die Sortenbreite nimmt immer mehr zu, egal, um welche Spirituosenkategorie es geht.

Entsprechend schlage ich heute mal einen Cocktail vor, den ich in Ted HaighVintage Spirits and Forgotten Cocktails gefunden hatte – einem Buch, das wie kein zweites zeigt, dass die Trends von heute, die wir verzweifelt vorahnen wollen, die vergessenen und abgelegten Gewohnheiten von morgen sein werden. Haigh hat das Originalrezept des Amarosa Cocktails aus den 1930ern leicht angepasst, und ich gebe seine Adaption hier wieder. Warum dieses Rezept? Es enthält genau Produkte aus den Trendkategorien, die ich mit meiner unendlichen Voraussicht prophezeit habe – Kirschwasser und Amaro, und dazu den Dauertrend Gin, der sicherlich weiterhin ungebrochen fortschreiten wird mit Gin-Ausprägungen #2032 und folgenden. Ein fantastischer Cocktail, stark, klar, sauber, aromatisch, völlig unabhängig davon, was gerade Mode ist.

The Amarosa Cocktail


The Amarosa Cocktail
1½ oz Gin (z.B. Beefeater)
1½ oz Kirschwasser (z.B. Brucker Kirsch Eau-de-vie)
1½ oz Amaro (z.B. Fernet Branca)
Auf Eis rühren.
[Rezept nach der Adaption von Ted Haigh]


Die Frage, die ich mir immer wieder stelle, wenn es um Trends geht, ist zum Schluss, inwieweit uns so ein Trend wirklich weiterbringt. Zweifelsfrei hat der ungebrochen anhaltende Gin-Craze der 2010er-Jahre dafür gesorgt, dass Gin von der vor sich dahindämmernden Randspirituose zum Megaseller des neuen Jahrtausends wurde. Er sorgte auch dafür, dass ganz neue Zielgruppen für den Barbetrieb erschlossen werden konnten. Doch letztlich steht dieser Hype recht allein da in den letzten Jahren, keine andere Kategorie konnte sich auch nur ansatzweise diesem Erfolg annähern.

Ich gönne trotzdem, auch wenn ich dem Phänomen Trendspirituose grundsätzlich sehr skeptisch gegenüberstehe, jedem Brand und jedem Cocktail seine 15 Minuten im Scheinwerferlicht – ein kluger Hersteller sorgt aber eigentlich lieber dafür, eine stabile, dauerhafte Basis für sein Produkt zu schaffen, statt es in einem Sommer auf Teufel-komm-raus zu verheizen.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

3 Kommentare zu „Quo vadis, taberna? Was erwartet uns 2017 hinter der Bar? Blogparade

  1. Das schöne an Trends ist ja bekanntlich, dass man ihnen nicht folgen muss. Egal ob es sich um Kleidung, Smartphones oder eben Spirituosen handelt, für mich steht immer noch der eigene Stil im Vordergrund. Natürlich kann man sich informieren, was gerade so „abgeht“, aber man sollte dabei nicht seine eigenen Vorlieben vergessen.
    Mir fällt bei „Trends“ immer ein Song von BAP aus den 80ern ein, der Wellenreiter. Ist gut getroffen.

    Das Thema Kümmel fand ich allerdings interessant. Bei uns gehört Kümmel oder Kümmel mit Rum schon immer zur Barausstattung und nicht erst seit den Hausschlachtungen in den 70ern und wird bei jeder Feier gerne nach dem Essen getrunken. Ich glaube ich werde mir mal so eine Flasche mecklenburgischen Kümmel besorgen, danke für den Hinweis.

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