Samples haben ein schwieriges Leben bei mir. Sie sammeln sich an, und stehen oft genug viel zu lange herum, weil ich sie nicht „einfach so“ trinken will, sondern auch für sie vernünftige Tasting Notes niederschreiben will; ganze Flaschen haben dabei aber Priorität, und ich komme da schon kaum hinterher. Aber nachdem ich so positive Erfahrungen mit Rum von der Insel Madeira gemacht habe, und doch ein paar Samples von dort bei mir warten, dachte ich, es wird Zeit, ihnen die Ehre zukommen zu lassen, die sie verdienen. Beginnen wir mit einem kleinen Fläschchen des Rum Artesanal Engenhos do Norte Rum Agricola da Madeira 970 Single Cask Edition #230 2015-2022, das ich von dem bekannten deutschen Abfüller erhalten hatte. 7 Jahre ist er entsprechend den Destillations- und Bottlingdaten alt, und er stammt aus Fass 230, das tatsächlich nur 152,6l beinhaltete, ergab 218 Flaschen in Cask Strength (was hier 50,8% entspricht). Der Rum wird nicht kühlfiltriert oder gefärbt.
Haselnussbraun, leuchtend mit terracottafarbenen Lichtreflexen, eine wirklich ansprechende Farbe hat der Rum. Dazu kommt eine tolle, fette Öligkeit, die den Brand schwer schwenkbar macht, und die einen dicken Film an der Glaswand hinterlässt.
Für die Nase ist der 970 Single Cask #230 nicht weniger unterhaltsam, da kommen sehr erwachsene, aber nicht übertriebene Holznoten vor, die die dunkle Trockenfruchtseite unterstützen. Gedörrte Pflaumen, Rosinen, reife Feigen und braungelbe Ananas, das geht gut mit dem Holz zusammen. Leichte Pekannusstöne finden sich, und ein Anflug von Heu. Stark eingedickter Zuckerrohrsaft gibt eine Süßwürze dazu, ohne sich wie bei einem Agricole französischen Stils prägnant in den Vordergrund zu stellen. Eine Idee von Anis frischt das eher dunkel gelagerte Gesamtbild etwas auf.
Im Mund macht der 970 Single Cask #230 keine Kompromisse, vom Antrunk an merkt man die grasige Bittere, die mit dem Einfluss des Holzes ein trockenherbes Mundgefühl erzeugen. Die schon gesehene Viskosität spiegelt sich in der am Gaumen gefühlten Textur sehr deutlich wieder, das breitet sich angenehm fett und breit aus und bleibt lange haften. Hier wird das Zuckerrohr nun sehr viel präsenter, weniger in einer Süße (auch wenn ganz tief der Brand durchaus süßlich wirkt), als in der leicht kräuterigen, wuchtigen Aromatik, die sich über den Verlauf sogar immer mehr verstärkt. Anis, Eukalyptus, Kümmel und Kardamom untermalen es mit viel Kraft, ein bisschen Lack fügt weitere Komplexität hinzu. Der Abgang ist lang, sehr würzig und kribbelt hinten am Zäpfchen, die Zunge wird warm und etwas anästhesiert, und im Nachhall erscheint dann warm und kalt gleichzeitig, wie ein Sonnenaufgang, das volle, nun schon buttrige Zuckerrohr, verfeinert mit etwas Guave.
Ein durchweg kraftvolles, hocharomatisches und dabei trotzdem elegantes Erlebnis, bei dem man toll verfolgen kann, wie unterschiedlich der Rum von Madeira von allen seinen Verwandten auf der Welt ist. Hervorragend gereift ist er dazu, das Holz ist perfekt eingebunden und lässt den Rum besonders glühen. Wunderbar!
Offenlegung: Ich danke Rum Artesanal für die kosten- und bedingungslose Zusendung dieses Samples.
