Irgendwie muss man das Backlog auch bei einer Heimbar pflegen, insbesondere, wenn sich Dinge schon Jahre darin aufhalten und irgendwann auch mal zu ihrem Recht kommen sollen. Aus diversen Kreta-Urlauben hatte ich mir immer ein paar Kleinflaschen der lokalen hochprozentigen Produkte mitgebracht, und neulich entdeckt, dass die eigentlich noch nie besprochen worden waren. Und so kommt heute mal wieder eine Gruppenbesprechung hier – die Gemeinsamkeit, die ich für soetwas voraussetze, ist die Spirituosenkategorie; bei den drei Bränden, die ich heute vorstelle, handelt es sich um Tresterbrand. Der offizielle griechische Name für diesen kretischen Tresterbrand ist Tsikoudía (eine Unterform des Gesamtgriechischen Tsipouro), auf Kreta sagt man in der Regel Raki dazu, wer schonmal dort war, kennt das selbstverständlich, denn Raki gehört auf Kreta mit zur unwegdenkbaren Lebenskultur, gefühlt jeder brennt auch seinen eigenen Hausraki. Ich habe vor einer Weile schonmal was über Raki geschrieben, und ergänze diese Eindrücke nun mit folgenden Produkten.
Drei Marken biete ich heute an: Aoraki, Rakaki und Lyraki, die klingen schon ähnlich, da ist man gespannt auf die Unterschiede. Alle drei sind „pur“, also nicht mit Anis aromatisiert, und auf Kreta in kleinen Supermärkten gekauft, dort bekommt man sie in diversen Größen für sehr erschwingliche Preise (man sollte sie jedenfalls nicht in den Touristen-Souvenir-Läden holen, da ist direkt ein enormer Preisaufschlag im Vergleich zu den Supermärkten da).
Wir beginnen mit Aoraki Cretan Tsikoudía, wie er angliziert auf dem Etikett genannt wird. Er weist 38% Alkoholgehalt auf, und als einzige Herstellungsinformation bekommt man den sehr generischen Hinweis, dass „grape varieties of Cretan vineyards“ benutzt werden.
Kristallklar, ohne Einschlüsse, mit einer sehr beeindruckenden Viskosität beim Drehen des Glases. Ein Film bildet sich dabei.
In der Nase erhält man ohne Umschweife die hohe Typizität eines Tresterbrands, dazu aber schon gleich schöne bunte Fruchtigkeit, da sind ein paar Sauerkirschen und Mandarinen drin, und ausgeprägte Muskat-Traubigkeit. Eine ganz milde Grüne findet sich, die sich mit der Erdigkeit paradox kombiniert. Frisch, klar strukturiert, keine nennenswerten Seitennoten, vielleicht etwas Gewürz und schwarzer Pfeffer.
Am Gaumen spürt man erstmal eine milde, weiche Rundheit, gepaart mit starker Süße. Es fühlt sich breit an, hat aber nur sehr wenig Tiefe, und es fehlt direkt an Spannung und Struktur. Die Aromen, direkt im Antrunk noch fruchtig und blumig, sind schnell flacher als in der Nase, im Verlauf sogar abbauend, wenn sich generische Pfefferwürze zeigt. Der Abgang ist kurz und wenig aufregend, dumpf und stumpf, ein wenig Geranien zeigen sich im Nachhall.
Sicherlich kein Brand, der einen vom Hocker reißt. Undefiniert, flach, zu schwachbrüstig und dafür dann zu süß, ohne klare Linie. Man vermisst nichts, wenn man ihn in Deutschland aktuell nur schwer bekommen kann, und auch von Kreta muss man nicht unbedingt eine Flasche davon mitnehmen.
Macht es der Rakaki Tsikoudia besser? Er hat immerhin schonmal 40% Alkoholgehalt, doch auch hier findet man keine Details zu Rebsorten oder Herstellung, was ich sehr schade finde.
Klar, sauber, fehlerfrei. Leichte Öligkeit, Beinchen bilden sich an der Glaswand.
Die Nase ist frisch und sehr würzig, aromatische Trauben, klassische erdige Tresterrestaromen, dazu grüne Blätter, frische Blüten, leichte Zitrusaspekte, Lemongrass, unspezifizierte Kräuter; bunt, aber nicht stark ausgeprägt. Eine gewisse Alkoholizität erkennt man.
Im Mund ist außer einer sehr allgemeinen Gewürzseite kaum etwas übrig. Die Erdigkeit ist dumpf, die Frucht stumpf und wirkt fast schon verrottet. Keinerlei Charme ist da, die Frische ist verschwunden. Dazu kommt ein schmaler Körper mit wenig Struktur und Linie, und eine wenig spannende Süße. Der Abgang ist kurz, leicht balsamisch, mit ein wenig schwerer Floralität als Nachklang
Das macht nicht wirklich viel Spaß. Vielleicht eisgekühlt, als Digestif, im kretischen Klima nach einem würzigen Essen. Und man trinkt ihn dort, und lässt ihn dann auch dort.
Bisher wurden wir nicht außergewöhnlich verwöhnt mit kretischer Lebensart, das muss man schon sagen. Ein dritter Versuch erfolgt nun mit dem Lyraki Cretan Tsikoudia, der auch mit 40% Alkoholgehalt in die kleine Flasche kommt, die sogar in einer kleinen Dose verpackt ist.
Klar und fehlerfrei, mit ansprechender Öligkeit, die sich hübsch schwenkt. Eine Filmkante bildet sich, aus der dicke Tropfen ablaufen.
Im Geruch wirkt der Lyraki sehr frisch und kräuterig, mit Eindrücken von Heu, getrocknetem Getreide und etwas Hirse. Die typischen Tresternoten liegen darunter, erscheinen beim zweiten Schnuppern. Eine spannende Ledrigkeit findet sich, und esterige Fruchtigkeit.
Auch am Gaumen wirkt es klarer, heller und strukturierter als seine zwei Vorgänger, doch die Aromen wirken nicht unbedingt ansprechend. Sehr heuig und grasig, quietschende Ester, milde Schokoladentöne, vorsichtige Steinfrucht. Gegen Ende kommt nun aber diese feine, brummende Würze auf, die sich plötzlich mit den Aromen gut kombiniert und ein sehr rundes, warmes Mundgefühl hinterlässt, bei dem noch schwere Blumigkeit mitklingt.
Der Abgang ist toll, das muss ich sagen – schade, dass der Weg dorthin etwas beschwerlich ist. Sicherlich ist der Lyraki aber der unterhaltsamste der drei Kreter, und vielleicht ein vernünftiger Einstieg in die Kategorie, die viel mehr als diese drei zu bieten hat.
Ich habe mit den Resten der drei Brände, die nach der Verkostung übrig geblieben sind, einfach einen Cocktail zusammengeschüttelt. Und, was soll ich sagen, der Etesian Wind ist so ein Beispiel eines Drinks, bei dem man all die Mängel, die eine Basisspirituose vielleicht haben mag, plötzlich gar nicht mehr spürt, im Gegenteil. Hier gleicht sich alles aus, die vereinzelten Stärken der Tsikoudias bleiben aber erhalten. So macht das ganze dann Spaß!
Etesian Wind
50ml Tsipouro
25ml Mastiha
25ml Orgeat
30ml Zitronensaft
1 Spritzer Rosenwasser
Auf Eis shaken.
[Rezept nach Zafiris Dimitris Skandaliaris]
So richtig empfehlen kann ich aber leider keines dieser drei Produkte, selten genug, dass mir das bei einer Verkostungsreihe passiert. Sie punkten alle drei ganz sicher über ihren schönen Duft, der wirklich angenehm ist, danach kommt aber meist nicht mehr so viel unterhaltsames. Da hatte ich gefühlt sehr viel besseres im Glas, als ich auf Kreta war, insbesondere die „hausgemachten“ Brände haben viel mehr Charakter und Charme als diese professionell abgefüllten Produkte. Nun, vielleicht muss ich doch nochmal zurück auf die Insel der Träume, um das zu verifizieren. Es gibt ganz sicher schlimmere Orte, um ein paar Tage für eine Bildungsreise zu verbringen!




