Ich erinnere mich noch an die Zahl, und an die Aufregung, die sie in Whiskykreisen erregte. 97,5 Punkte in Jim Murrays Whiskybibel, Whisky-of-the-year-Titel dazu, als erster kanadischer Whisky wurde er damit ausgezeichnet. Nun, Jim Murray ist heutzutage nicht mehr der, den man als ersten nach einer Meinung fragt, nachdem er Sexismus-Vorwürfen ausgesetzt wurde. Persönlich finde ich die ihm angekreideten Formulierungen nicht wirklich misogynistisch oder sexistisch, manchmal ein bisschen altherrenschmierig vielleicht, aber das muss jeder für sich entscheiden. Jedenfalls hat er viel für kanadischen Whisky getan, ohne Frage, und den Crown Royal Northern Harvest Rye Blended Canadian Whisky so gesondert hervorzuheben hat sicherlich mit dafür gesorgt, dass Kanada endlich wieder auch in der breiten Wahrnehmung auf die Liste der traditionellen Whiskyländer kam, auf die das Land mit großer Sicherheit gehört, sowohl von der Historie als auch von der Qualität her, und in Zeiten von Handelskriegen mit ehemaligen engsten Freunden schadet es nicht, wenn Kanadaliebhaber wie ich das weiterhin betonen.
Mit mehr Aufmerksamkeit kommen aber auch die seltsamen Probleme, die der globale Welthandel und alte Trade Agreements mit sich bringen – neulich erst war in den Nachrichten, dass deutsche Whiskys darauf verzichten müssen, die Wortkombination „Rye Whisky“ auf ihr Etikett zu schreiben, da dies laut einem alten Handelsvertrag mit Kanada nur für kanadische Whiskys erlaubt sein soll. Nicht, dass Kanada so eine eigentlich absurde Totschlagklausel durchzusetzen willens wäre, dazu sind sie viel zu höflich, aber rechtliche Dinge sind eben gefährlich für kleine deutsche Hersteller. Völlig weit hergeholt ist es jedenfalls aber nicht – Roggen ist nunmal das Getreide der Wahl für kanadischen Whisky, das war schon immer so, darauf ist man stolz und die riesigen Landwirtschaftsflächen in Alberta, Saskatchewan und Manitoba sind voll von Roggen, der nur darauf wartet, in einen Whisky zu münden. 90% der Mashbill für den Northern Harvest besteht aus Roggen, der Rest ist gemälzte Gerste und Mais. Er wird dann aus bis zu 50 Einzeldestillaten geblendet, ein aufwändiger Prozess. Aber nun genug Anekdoten und Theorie, auf zum Inhalt!
Sonnenblumengelb, ocker, so würde ich die Farbe beschreiben, leuchtend und ansprechend, mit bernsteinfarbenen Lichtreflexen. Der Whisky schwenkt sich ebenso hübsch, mit einer gewissen Öligkeit, die eine Linie an der Glaswand hinterlässt, aus der dicke Tropfen langsam ablaufen.
Man könnte den Northern Harvest blind durchaus erstmal für einen Bourbon halten, mit schöner fruchtiger Getreidenote, etwas feuchtem Holz (hier eher Zedern als Eiche), und ganz dezenten Anflügen von Vanille und Zimt. Man findet aber auch einen ungewöhnlichen, erdigen Unterton, mit ganz schwachen Erinnerungen an einen Pferdestall, und einen alten Ledersattel. Aufgehellt wird alles durch einen mentholischen Beiklang, nicht wirklich minzig, aber balsamisch und frisch, vielleicht stark verdünntes Teebaumöl, und schließlich eine etwas harzige Komponente. Einen Lackhauch darf man nicht verschweigen, nichts, was piekst, allerdings. Insgesamt schön und entspannt, nicht dramatisch komplex, aber auch ohne Störfaktor.
Die Textur gefällt mir sehr, das spiegelt am Gaumen das wieder, was das Auge an der Glaswand gesehen hat – rund, dicht, voll und breit legt sich das hin, breitet sich aus, ohne den Gaumen dabei zu beschweren, die frischen Komponenten verhindern das. Im Antrunk spürt man eine natürliche Süße, ideal balanciert mit der sich im Verlauf Schritt für Schritt herausbildenden Trockenheit, die völlig ohne Astringenz auskommt. Honig, türkischer Honig, Toffee, weiße Schokolade, das gleitet wirklich angenehm über die Zunge mit vielen süßen Anspielungen. Später kommt die pikante Würze dazu, warm und nicht heiß, prickelnd aber nicht scharf, schwarzpfeffrig und durch den vollen Körper elegant getragen. Ein wirklich ausgesprochen angenehmes Mundgefühl, saubere Aromen, klar vorgetragen ohne unnötige Koloraturen, eher eine Karen Anne Carpenter als eine Mariah Carey. Da wird nichts geschlampt, alles ist stringent und durchkomponiert. Der Abgang des Crown Royal Northern Harvest ist dann lang, leicht karottig, etwas zedernholzig und von einer wunderbaren Süßbittere mit Kitzeleffekten gesteuert.
Extrem süffig, dabei von einer wunderbaren, nicht überbordenden Komplexität, ein wahrer Spaß, das zu trinken. Höflich wie ein kanadischer Gentleman, aber selbstsicher und sich seiner Stärken bewusst wie ein Mountie. Wirklich ein Whisky für alle Gelegenheiten, der gefällt, aber sich nicht anbiedert.
So ein Whisky gehört natürlich in einen Manhattan, ich kann mir kaum einen besseren Whisky für so klassische, wenigzutatige und strenger komponierte Cocktails vorstellen. Aber da bin ich nicht allein, schon die frühen Barexperten wie Hugo Ensslin schätzten Roggenwhisky für ihre Kreationen – ein etwas exotischeres Beispiel ist der Deshler Cocktail. Als ungewohnte Herstellungsweise schüttelt man hier Zitruszesten mit, das extrahiert ein paar ätherische Öle aus der Zeste und macht den Drink etwas herber als man es vielleicht erwartet. Spannend auf jeden Fall!
Deshler Cocktail
1½oz / 45ml Rye Whiskey
1½oz / 45ml Dubonnet
½oz / 15ml Triple Sec
2 Spritzer Peychaud’s Bitters
2 Orangenzesten und 1 Zitronenzeste
Alles auf Eis shaken.
Mit einer Orangenzeste absprühen.
[Rezept nach Hugo Ensslin]
Ich habe mich für die Variante entschieden, die ohne den lila oder beigen Samtbeutel auskommt, in dem er oft gekauft werden kann; für mich ist sowas zwar hübsch anzuschauen, aber gleichzeitig wie Kartons und Dosen etwas, was eigentlich nach der Abnutzung des optischen Effekts direkt entsorgt wird. Da verzichte ich inzwischen gern auf derartige Gimmicks, insbesondere, weil die Flasche an sich ja wirklich hübsch ist und nicht in einem Beutel versteckt werden muss. Ja, der Plastikschraubverschluss ist etwas billig, aber gut.
Ich hatte meinen letztjährigen Ausflug nach British Columbia genutzt, ein paar Whiskys von dort mitzubringen, über den Liberty Distillery Trust hatte ich ja bereits berichtet, und der Northern Harvest war auch einer davon, gekauft in einem BC Liquor Store im Hafengebiet an der Cordova Street in Vancouver, es gibt ja ein Alkoholmonopol in Kanada und man kann Schnaps nur in solchen spezialisierten, staatsbetriebenen Läden erwerben. Nun geht es für mich in kürzester Zeit nochmal nach Kanada, und ich freue mich schon extrem darauf, dieses tolle Land wiederzusehen, und ihre Biere und Whiskys vor Ort zu trinken, idealerweise zusammen mit einer Poutine und Blick auf den Pazifik oder später auf die Berge in den Rocky Mountains und den Nationalparks von Banff und Jasper. Dann schmeckt es nämlich gleich nochmal so gut.


