Europäisches Zuckerrohr – Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50°

Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira Titel

Der Begriff „agricole“ ist im Wirkbereich der EU-Spirituosenverordnung geschützt. Er darf nur von gewissen Regionen, die Zuckerrohrsaftrum herstellen, genutzt werden; es handelt sich dabei fast ausschließlich um französische Übersee-Territorien und -departements, wie Martinique, Guadeloupe und Réunion. Die einzelne, oft übersehene Ausnahme aus dem frankophonen Monopol ist die portugiesische autonome Region Madeira, auch hier darf offiziell der Zuckerrohrsaftrum mit dem Begriff „agricole“ gekennzeichnet werden, oder eben, in der Landessprache, „agrícola“, wie man es auf dem Etikett des Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50° sehr prominent findet. Auf dem Rücketikett ist spiegelverkehrt das Wort „Aguardente“ aufgedruckt, das dann hübsch durchscheinend von vorne lesbar ist; hierbei handelt es sich um eine allgemeinere Klassifikation, die weniger klar definiert ist. Man bezeichnet im spanischsprachigen Umfeld, auch in Südamerika beispielsweise, gerne ungereifte Rums als „aguardiente“, um sie vom gereiften „Rum“ abzugrenzen, das ist aber mehr gefühlt gehandhabt als in harten Gesetzesbuchstaben.

Aber wem erzähle ich das, aufmerksame Leser meines Blogs haben das schon so oft wiedergekäut bekommen, dass sie das aus dem Stegreif berichten können, wenn man sie nachts um drei aufweckt. Gehen wir daher näher an die Praxis der Herstellung: rotes Zuckerrohr (man findet auf den einschlägigen Seiten der deutschen Importeure dieses Produkts ein paar Bilder, die klar machen, warum das Zuckerrohr so heißt, es ist aber auch nicht schwer selbst erschließbar) wird geerntet, dabei ist oft noch viel Handarbeit im Spiel, die manchmal schwierigen Anbaulagen des Zuckerrohrs auf Madeira, teilweise in 600m Höhenlage, erlauben zwar an manchen Orten Maschineneinsatz, doch das ist bei weitem nicht so industrialisiert in Verbreitung wie anderswo auf der Welt. Der Saft wird ausgepresst, in Tanks fermentiert und dann in einer Säule gebrannt. Ohne Zusätze kommt er dann in die Flasche, nur Wasser wird genutzt, um ihn auf die namensgebenden 50% Alkoholgehalt einzustellen.

Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira

Ungereift ist dieser Rum, darum muss man sich auch nicht groß über die Farbe unterhalten; dennoch ist der optische Eindruck für mich immer wichtig, ich betrachte gerne die Viskosität (hier klar vorhanden), und das Glaswandverhalten (hier mit vielen, breit verteilten Beinchen, die schnell ablaufen, dabei aber einen Film hinterlassen).

Besonders tief muss man die Nase nicht in das Verkostungsglas stecken, um die Charakteristik des Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50° wahrnehmen zu können – sehr direkt riecht man da frischen Zuckerrohrsaft als primäres Aroma. Ein bisschen anders als der, den ich auf Guadeloupe in der Karibik kennengelernt habe, hier ist ein bisschen mehr Würze und ein Anflug von Anis vorhanden. Die fette Grasigkeit wird durch viel Fruchtbeigabe aufgelockert, das riecht nach vergorener Orange, reifer Ananas und weist sogar einen Touch von Vanille auf. Etwas mentholisches ist auch drin, ohne, dass es wirklich die Schleimhäute triggert. Sehr typisch für einen Agricole-style-Rum, aber mit einem gewissen Twist, der ihn von seinen karibischen Kollegen unterscheidet.

Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50° Glas

Auch im Mund zeigt sich der Agrícola 50° deutlich selbstbewusst und abgegrenzt. Genau diese Anisnote und die feurige Würze machen ihn besonders, lassen das Zuckerrohr dabei aber nicht untergehen. Die Textur ist dicht und voll, getragen von den 50% Alkoholgehalt, die man deutlich spürt, ohne dass hier ein Kratzen oder Beißen mitkommen würde. Süße und Bittere ringen beständig miteinander, zu Beginn dominiert erstere, im Finish klar letztere. Die Frucht ist nun etwas zurückgenommen, dafür breitet sich eine sehr maritime Inselnote aus, die aus Mineralität, sehr prägnanter Salzigkeit und einem grünen Algenaroma besteht, das sich im Abgang immer deutlicher zeigt, wenn er dann doch ein bisschen im Hals kratzt. Im Abgang wirkt der Rum dafür sehr balsamisch, eukalyptische Noten und mentholische Effekte verleihen ihm einen frischen Hauch, der bis in die Bronchien dringt und den Gaumen kühlt.

Da ist Wucht und Kraft drin, das hat nichts mit einem eleganten Agricole von Martinique zu tun, oder einem verspielten von Guadeloupe – das ist wild, ungezähmt, schwer und dabei immer noch frisch und klar, sehr bedacht auf seine Zuckerrohrwurzeln, direkt und ohne jede Art von Spielerei. Da wird nicht gespaßt, der Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50° macht Ernst, und daraus bezieht er seine Spannung – man fühlt fast den Schweiß der Arbeiter bei der Ernte.


Der madeiranische Nationalcocktail ist natürlich der Poncha. Wenn man sich darüber ein bisschen einliest, erfährt man, dass ihm auch lindernde Effekte nachgesagt werden, was Krankheiten angeht – als ich die Flasche zugeschickt bekam, ging bei mir gerade eine recht hart verlaufende HNO-Infektion zuende, und was kann man dem Körper besseres tun als eine Mischung aus Zitrusfruchtsaft (frisch gepresst ist hier wichtiger denn je), wohltuendem Honig und schlafförderndem Alkohol. Dass der Poncha auch wirklich gut schmeckt und erfrischt, ist da ein gern gesehener Seiteneffekt, wenn die Geschmackssinne langsam wieder zurückkehren.

Poncha Cocktail

Poncha
1 Esslöffel Honig in 40ml Zitronensaft auflösen
80ml Aguardente de cana dazugeben, gut verquirlen
40ml Orangensaft dazugeben, weiterquirlen

Ungekühlt servieren.
[Traditionelles Rezept]


Die Literflasche in Braunglas hat viele Details direkt auf die Flasche aufgedruckt, darunter die Hinweise auf den Poncha – Zitrusfrüchte, den traditionellen Quirl, Zuckerrohrstangen und ein passendes Glas. Das „Durchscheinen“ des Worts Aguardente habe ich ja schon erwähnt, und man muss natürlich den sehr kostensparenden Plastikverschluss ansprechen, das ist wirklich nur minimal abgedichtet – ein Hinweis darauf, dass so ein Getränk eher dem zügigen Verbrauch dient und weniger der jahrelangen Aufbewahrung zuhause.

Nicht, dass die Gefahr bestehen würde, dass so ein kraftvoll-aromatischer Brand bei mir lange rumstehen müsste; ich habe viele Cocktailrezepte im Sinn, bei denen er schnell geleert sein wird. Allein schon die vielen Ponchas, die ich mit ihm im hoffentlich nun nahenden Wärmewetter anrichten werde… nein, der Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50° hat keine hohe Lebenserwartung im Hause schlimmerdurst.

Offenlegung: Ich danke FFL -Rum Brands- für die kosten- und bedingungslose Zusendung einer Flasche dieses Rums.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

Ein Kommentar zu “Europäisches Zuckerrohr – Engenho Novo Rum Agrícola da Madeira 50°

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