Moderne Antiquität – Pierre Ferrand 1840 Original Formula Cognac

Pierre Ferrand 1840 Original Formula Cognac Titel

Man hat sich heute bei Cognac an die Buchstabengruppen gewöhnt, die das Alter grob angeben. VS, VSOP, XO – das kennt man. Es gibt jedoch auch andere Systeme, die Reifung zu beschreiben. Das technischste und dafür genaueste ist das der comptes, also vollständigen Jahren in Bezug auf das Referenzdatum 01. April. Das ist nicht ganz einfach zu verstehen, ich versuche hier gar nicht erst, die Details aufzudröseln. Wichtig ist: man benötigt ein Mindestalter von compte 2 (grob zwei Jahre und ein paar Monate), um ein Produkt „Cognac“ nennen zu dürfen. Das entspricht dem, was üblicherweise dann als VS gekennzeichnet wird – oder eben 3 Sterne, eine weitere Alterskategorie, die beim hier vorgestellten Pierre Ferrand 1840 Original Formula Cognac sehr präsent auf der Flasche zu finden ist. Interessanterweise ist „3 Sterne“ ebenso wie „VS“ eigentlich eine recht redundante und inhaltsfreie Angabe, die man genausogut weglassen könnte (weil, wie gesagt, jünger gar nicht erlaubt ist) – wahrscheinlich will man einfach diese niedrigste mögliche Alterskategorie etwas aufwerten durch eine eigene Bezeichnung. Natürlich ist, wie bei sehr vielen Cognacs, das auf der Flasche angegebene Alter nur ein Platzhalter – die Assemblage eines Cognacs beinhaltet in der Regel einen großen Anteil älterer, und einen gewissen Anteil sehr viel älterer Destillate.

Die Verwendung der 3 Sterne ist heute eher selten, man verlässt sich mehr auf das VS/VSOP/XO-System – hier dient es meines Erachtens hauptsächlich als Remineszenz an die alten Zeiten, als das Sternesystem das einzige war. In eine ähnliche Kerbe schlägt die Erwähnung einer „1840 Formula“ – David Wondrich, der an der Entwicklung dieses Produkts beteiligt war, ist ja bekannt dafür, dass er ein Faible für historische Cocktails und auch Zutaten hat. Die Idee ist, die Rezeptur einer alten Flasche Pinet Castillon als Vorbild heranzuziehen, und auch bei der Herstellung die Methoden des 19. Jahrhunderts nachzuahmen. Kein typischer Standardcognac also, in mehrerer Hinsicht, sondern ein Experiment und eine Art Zeitreise. Wagen wir uns mit unserem modernen Gaumen an diese Antiquität.

Pierre Ferrand 1840 Original Formula Cognac

Cognac erlaubt eine gewisse Menge an Zusätzen, dazu gehört beispielsweise Farbe. Auch wenn dieser Cognac gefärbt ist, so wirkt die Farbe dennoch nicht künstlich – ein sehr attraktives Rotgold glänzt sowohl in der Flasche als auch im Glas, wo er nach dem Schwenken in sehr breiten, fetten Beinen langsam abläuft.

Der Geruch verströmt sich nach dem Eingießen weit über das Glas hinaus. Sehr tropenfruchtig, süßliche Mango, reife Banane, überreife Ananas, Aprikosen. Vanille, Honig und ein Anflug von Harz, und ein Anflug von Veilchen – Weinbrand im Generellen hat oft eine traumhafte Nase, und der Pierre Ferrand 1840 ist hier keine Ausnahme. Da schnuppert man einfach gern dran, und findet auch immer wieder was neues; ich empfinde es auch als angenehm, dass hier nicht alle jungen Aromen durch generisches Holz erschlagen werden.

Pierre Ferrand 1840 Original Formula Cognac Glas

Im Antrunk erinnert er mich zunächst mal sehr stark an einen milden Highland Scotch, die Aromatik ist sehr ähnlich und im ersten Anflug etwas seifig und medizinal. Erst im Verlauf entwickelt sich der Cognac woanders hin, ist dann deutlich fruchtiger, mit viel reifen Früchten wie Pfirsich, Aprikosen und auch Ingwer und Honig. Eine kräftige, natürliche Süße gibt dem Destillat sehr viel Körper und Breite, da hat man echt was im Mund, woran man lutschen kann, ohne zu süß zu werden – die Süßsauerbalance ist gut getroffen. Gegen Ende kommt dann noch Würzigkeit und eine erkennbare Ingwerschärfe dazu; 45% Alkoholgehalt unterstützen diese Kraft.

Der Abgang geht wiederum in eine andere Richtung: hier kommt die Blumigkeit, die ich an Weinbränden liebe, voll zur Geltung. Veilchen und Jasmin blühen geradezu auf, lassen den Abgang lang und prägnant werden, mit zusätzlichen Eindrücken von Kandiszucker, Süßholz, Ingwer und Kakao. Dieser Blumengarten am Ende hallt entsprechend sehr lange nach, und eine milde Salzigkeit belegt in dieser Zeit den Gaumen. Ein toller Cognac, kraftvoll, sehr aromatisch, lang und voll – vielen Weinbränden geht nach der Nase die Luft etwas aus, hier bleibt der Brand aktiv bis zum letzten Schluss.


Die Vorgabe war, hier einen Cocktailcognac zu schaffen, wie ihn die Epigonen wie Jerry Thomas und andere aus dem 19. Jahrhundert eingesetzt hatten. Für diese Zwecke ist er wirklich nahezu perfekt, in jeder Hinsicht. Natürlich zeigt er sein volles Potenzial in Drinks wie dem The Ray Long Cocktail, wo er die erste Geige spielt; aber auch in Rezepten, wo nur halbunzenweise Cognac benötigt wird, ist der Pierre Ferrand 1840 durch seine Power und Aromengewalt ganz ausgezeichnet einsetzbar.

The Ray Long Cocktail


The Ray Long Cocktail
2oz / 60ml Brandy
1oz / 30ml süßer Wermut
4 Spritzer Absinthe
1 Spritzer Angostura
Auf Eis rühren.

[Rezept nach Harry Craddock]


Die Flasche ist elegant, groß und schwer mit dickem Boden, vielen Ornamenten und geschickt eingesetzten Etiketten. Das macht echt was her im Regal, und fühlt sich auch gut an, wenn man die Flasche aus demselben herausholt.

Meine Flasche war sehr viel schneller leer, als ich das gedacht hätte – man bekommt bei so einem tollen Produkt einfach Lust, es in Drinks einzusetzen, und ich habe in der Zeit dadurch viele bereits bekannte Cognacrezepte neu ausprobieren wollen. Ein größeres Kompliment kann man einem Brand wohl kaum machen. Darum wird dieser Cognac mein go-to-Cognac auf absehbare Zeit sein, unter anderem durchaus auch, weil er ein bombenmäßiges Preisleistungsverhältnis hat.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.