Raicilla am Freitag – La Venenosa Raicilla Sierra del Tigre

La Venenosa Raicilla Sierra del Tigre Titel

Vor kurzem hatte ich eine eher unbekanntere Agavenbrand-Varietät aus Mexiko vorgestellt, einen Bacanora. Damit erschöpft sich der Pool an in Mexiko geschützten Spirituosen allerdings noch nicht, es gibt noch eine weitere: den Raicilla. Die „denominación de origen“ ist für Raicilla ähnlich strukturiert wie für Mezcal, Bacanora, Sotol und Charanda, da hangelt man sich an den üblichen Parametern entlang, die Hauptpunkte sind hier: Raicilla darf nur in den Bundesstaaten Jalisco und Nayarit hergestellt werden, und es gibt eine Liste von erlaubten Agavensorten. Diese ist nicht abgeschlossen wie bei anderen Agavenbränden Mexikos, im offiziellen Dokument liest man: „Materia prima: Agaves silvestres o cultivados; Agave Maximiliana Baker, Agave Inaequidens Koch, Agave Valenciana, Agave Angustifolia Haw y Agave Rhodacantha entre otros, con la excepción del Agave Tequilana Weber Azul“. Das „entre otros“ lässt die Liste offen, und man schließt dafür die blaue Weberagave explizit aus, wahrscheinlich, um keine Konflikte zur DO von Tequila aufkommen zu lassen; man grenzt noch zwischen Raicilla de la Costa und Raicilla de la Sierra ab, hauptsächlich über die Agavensorten.

Für das Beispiel heute, den La Venenosa Raicilla Sierra del Tigre, einem, wie der Name schon andeutet, Raicilla de la Sierra, kommt die in der Liste vorhandene, wild gewachsene Agave inaequidens zum Einsatz; im Dorf Manzanilla de la Paz auf 2000m Höhenlage, wo der Raicilla herkommt, kennt man sie umgangssprachlich als Bruto. Geröstet wird auf Holzkohlen in einem Erdofen, und die Brennanlage ist eine keramische Filipino-Potstill, in der bei diesem Batch ein Alkoholgehalt von 45,5% erzielt wird. 700 Liter entstehen nur pro Jahr unter dem wachsamen Auge des Brenners Don Luis Contreras, und ein paar Schlückchen davon können wir heute gemeinsam im Glas probieren.

La Venenosa Raicilla Sierra del Tigre

Die extreme Öligkeit fällt einem sofort auf, wenn man die kristallklare Flüssigkeit langsam im Verkostungsglas schwenkt, das schwappt fast wie Sirup hin und her. Großzügige Reste bleiben an der Glaswand haften, laufen spät in fetten Beinen ab.

Ich fühle mich sofort an Erdbeerjoghurt erinnert, wenn ich das Glas dann an die Nase halte. Eine milchig-joghurtige Note ist der erste Eindruck, nicht wirklich säuerlich werdend, Schmand oder Crème Fraiche vielleicht als äußerstes. Darin liegen dann verschiedene Obstsorten, Kirschen, Erdbeeren eben, milde, nicht ganz reife Aprikosen. Erst danach kann man langsam die Agave entdecken, in ihrer grünen Mineralität, mit Blattschnitt und einem Gartenteich im Frühling, und fermentierten Gurken. Auch wenn es seltsam klingt, diese Kombination ist angenehm zu schnuppern.

Am Gaumen merkt man auch noch den Joghurt, eine deutlich säuerliche Note entsteht schon zu Beginn und verstärkt sich sogar noch bis zum Schluss. In dem Joghurt ist weißer Pfeffer, sowohl aromatisch, als auch vom Effekt, ein kaltes Kribbeln involviert insbesondere die Zunge. Kirschen und Erdbeeren streiten sich um die Hauptrolle in der Fruchtkomponente. Die Textur ist nicht ganz einfach, die optische Öligkeit spiegelt sich nicht am Gaumen wieder, hier ist der Brand eher klar und leicht, durchaus auch etwas salzig. Gegen Ende dreht die Agavenseite auf, verdrängt den Rest, und im Nachhall ist dann nur noch leicht säuerliche Agave vorhanden, mineralisch, kiesig, grün und etwas erdig, mit einem Touch der Brühe eingelegter Gurken.

Ein ungewöhnlicher und wahrscheinlich auch polarisierender Agavenbrand aus Mexiko, da mache ich mir keine Illusionen: den La Venenosa Raicilla Sierra del Tigre wird nicht jeder mögen, insbesondere der milchsaure Aspekt muss verstanden werden, bevor er genossen werden kann. Zumindest ich für meinen Teil kann soetwas vom Kopf her auf analytischer Ebene mögen, vom Bauch her brauche ich noch etwas Zeit und Erfahrung mit Raicilla, das gebe ich unumwunden gerne zu.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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