Regeln und Genetik – Real Minero Largo Destilado 100% Agave

Real Minero Largo Destilado 100% Agave Titel

„Destilado 100% Agave“. Das lese ich auf dem Etikett des Real Minero Largo Destilado 100% Agave. Und eine NOM-Angabe suche ich vergebens. Der Erklärungsbedarf ist durchaus gegeben, finde ich – warum steht da nicht einfach „Mezcal“? Da ein Mezcal per Definition immer vollständig aus Agave hergestellt werden muss, keine Alternativzucker erlaubt sind wie bei Tequila, würde das doch die Prozentangabe überflüssig machen, oder? Und hergestellt wird dieser Tropfen ja auch in einer Region, die in der Denominación de Origen beinhaltet ist, dem Ort Santa Catarina Minas im Bundesstaat Oaxaca, das wäre also auch kein Hinderungsgrund. Ist das etwa ein minderwertiges Produkt, da auch keine NOM-Nummer sichtbar ist? Nein. Die Hintergründe dafür sind so einfach wie tragisch: Die Bürokratiemaschine, die das CRM (Consejo Regulador del Mezcal) darstellt, ist für eine wachsende Anzahl von traditionell arbeitenden Mezcaleros nicht mehr tragbar. Zu stark sind die Versuche, kleinere Brenner einzuschüchtern und zu einer Zertifizierung zu drängen, zu willkürlich sind die aktuellen Regelungen zu den Traditionen, und was man als Mezcal bezeichnen darf und was nicht. Entsprechend verzichten Hersteller wie Real Minero und andere inzwischen breitflächig auf die Kategoriebezeichnung „Mezcal“, und nennen ihre Brände neutral „Destilado“, um sie ohne CRM-Zertifizierung vermarkten zu dürfen. Ein Beispiel dafür, wie kommerzielle Interessengruppen denen, die die Agavenbrände seit Jahrhunderten herstellen, die selbstverständlichsten Begrifflichkeiten stehlen. Aber es ist schön zu sehen, dass sich Widerstand regt, und man sich nicht auf die großteils seelenlos gewordene Industrie einlässt, wie das Tequila getan hat und es nun teilweise bereut.

„Porque sólo lo auténtico perdura“, nur das Echte wird überdauern, ist das Motto von Real Minero, und es passt zu dieser Einstellung. Natürlich ist es nicht nur auf Wortebene, auch in der Herstellung geht man bei Real Minero keine Kompromisse ein. Die wildwachsende Largo-Agave wird als Agave karwinskii sp. im Botanikersprech angegeben, Tobaziche ist in der Region wohl ein Alternativname dafür. Das „sp.“, species pluralis, steht dafür, dass man sich zwar über das botanische Genus klar ist, nicht aber über die genaue Spezies. Bei der unglaublichen Anzahl von vorhandenen Agavenspezies gerade in Oaxaca ist das teilweise nicht einmal für Wissenschaftler, geschweige denn Brenner, genetisch detailliert klärbar, man verlässt sich dann lieber auf die traditionell überlieferten Namen. Jedenfalls hat die Maguey Largo 14 Jahre auf dem Buckel, bevor sie geerntet und in einer Erdgrube mit Eichen- und Mezquiteholz gekocht wird. Eine Zerkleinerung mit einer elektrisch betriebenen Anlage geht der natürlichen Gärung mittels wilder Hefen in Sumpfzypressenfässern voraus. Schließlich wird zweifach in kleinen Keramik-Potstills im Filipino-Stil („ollas de barro“) gebrannt. Die kleine Gesamtproduktionsmenge, für die meisten Batches nur um die 100 Liter, ruht dann noch 4 Monate in Glasballons, bis sie mit 51,9% Alkoholgehalt auf Flaschen gezogen wird; „envasado de origen“, abgefüllt am Ort der Destillation, auch das ist ein finales Qualitätsmerkmal, das man nicht unterschätzen sollte. All das kann man auf dem Rücketikett nachlesen, was für mich eine Freude an Transparenz ist. Nun aber genug der technischen Details, es drängt mich sehr, diesen Vino de Mezcal zu probieren.

Real Minero Largo Destilado 100% Agave

Die ersten Versuche, dieses Agavendestillat zu trinken, habe ich mit Stielglas gemacht, wie ich das immer für Spirituosen tue. Heute gieße ich mir einen Schluck in eins meiner neuen Veladora-Gläser ein, wir trinken jetzt mit Stil statt mit Stiel. Diese Gläser sind in Mexiko beliebt für Mezcal, waren ursprünglich Votivlichter, man kann auch heute noch ein Teelicht hineinstellen, auf das eingelassene Kreuz im Boden. Glasklar erkennt man trotzdem in ihnen die Flüssigkeit, die Kante, die sich oben an der Glaswand bildet, wenn man sie schwenkt, und das kleine Gläschen liegt einfach gut in der Hand.

Die Nase des Real Minero Largo ist für mich sofort eine Mischung aus getreidigen Noten, die fast schon roggige Würze bringen, grüner Mineralität aus der Pflanze selbst und einem Ticken Steinobst. Das geht sehr viel besser zusammen, als es auf den ersten Blick klingen mag. Das ganze wird abgerundet durch deutliche Kakaonoten, eher Bitter- als Milchschokolade, und aufgerauht durch eine sehr herbe, trockene Faserigkeit, die an trockene Kokosschale oder Sisal erinnert. Ein Ticken Rauch aus der Röstung der Agavenherzen ist vorhanden, aber nie speckig oder kaltholzkohlig, mehr eine Art Rauch, die schon ins Fruchtige übergeht. Eine gewisse ethanolische Schmutzigkeit kann man erahnen, macht das ganze noch etwas komplexer und kantiger – alles in einem sehr spannend, aber nicht schmusig!

Real Minero Largo Destilado 100% Agave Glas

Am Gaumen zeigt sich der Largo initial auch hier nicht eindeutig – er schwankt beständig zwischen dunkelherbem Kakao und grasiggrüner Vegetabilität. Da ist wahnsinnig viel Variabilität drin, es ist schwer, eindeutige Eindrücke zu greifen, weil sich alles so schnell wandelt. Rauch ist im Mund viel präsenter, aber weiterhin eher auf der Röstebene denn der Speckebene, und im Verlauf nach dem Antrunk dominiert er sogar kurz, zusammen mit der trockenen Schokoladigkeit. Kirsche und Aprikose melden sich ganz kurz, verklingen dann aber schnell, etwas Heu, ein bisschen Honig. Insgesamt ist die Struktur irgendwie an feuchten Ton erinnernd, mineralisch frisch und trotzdem schwer, jedenfalls hochkomplex und sehr vielschichtig, mit Erinnerungen an Tomatensalat und Gurkenrelish. Eine spannende Spirituose, die mit einem sehr langen, nun sehr grünen, stark agavenlastigen Finish endet, dabei leicht brummt und mit Eindrücken von Aquariumkies und dem Rauch einer eben ausgeblasenen Kerze noch nachhallt.

Irre, wieviel man in einem kleinen Schluck dieses Mezcals finden kann, das Zusammenspiel aus einem Basismaterial, das erstaunliche 14 Jahre reifen durfte (das gibt es in der Spirituosenwelt praktisch sonst nirgends, Zuckerrohr oder Getreide werden teilweise ja sogar mehrmals im Jahr geerntet!), einer fast ausschließlich händischen Herstellung ohne industrielle Einflüsse und viel Respekt gegenüber alledem ist zu schmecken und zu spüren. Ein hochkomplexer, hochspannender und dennoch sehr trinkiger Mezcal.


Der Drink, den ich für den Real Minero Largo ausgewählt habe, klingt erstmal wie ein Sour oder ein Daiquiri, doch, wie Robert Simonson in seinem Buch „Mezcal and Tequila Cocktails: Mixed Drinks for the Golden Age of Agave“ erklärt, ist der Trick beim Mezcal Fix, crushed ice zu verwenden, ein wesensverändernder. Gerade für den Sommer ist so ein Cocktail natürlich ideal, er verdeckt die mineralisch-kakaoige Natur des Mezcal nicht, und erfrischt trotzdem mit einer nahezu idealen Süßsauer-Balance.

Mezcal Fix Cocktail

Mezcal Fix
2oz / 60ml Mezcal
¾oz / 23ml Limettensaft
¾oz / 23ml Zuckersirup
Trocken shaken. Auf frisches crushed ice abseihen.

[Rezept nach unbekannt via Robert Simonson]


Zu Real Minero habe ich noch eine kleine persönliche Anekdote. Bei dem Cocktails & Dreams-Clubtreffen, das 2018 in Berlin stattfand, war Axel Huhn von mezcaleria.de für ein Tasting eingeladen, und er brachte Graciela Angeles Carreño mit. Sie führt das Unternehmen Real Minero, das seit 4 Generationen in der Familie ist. Besonders spannend – sie hatte neben ein paar Ensambles aus der Familienproduktion (die hier vorgestellte Largo-Agave hatte dabei einen wichtigen Anteil) noch handbeschriftete Plastikflaschen mit Teilzuständen des Destilliervorgangs dabei, den „puntas“ und „colas“, also den Vor- und Nachläufen, und auch gekochte Agavenfibern, es war faszinierend, solche Seitendetails der Mezcalherstellung mal direkt vor sich zu haben; und Graciela ist eine wunderbare Repräsentantin der modernen, sich auf Tradition berufenden Mezcalwelt.

Ich wusste es nicht wirklich zu würdigen, im Rückblick. Ich kam zu dem Tasting mit dem schlimmsten Kater, den ich erinnern kann, weil am Abend zuvor die Jungs und Mädels des Forums bis spät in die Nacht Drinks auftischten und ich, als Gast, natürlich alles probieren wollte. Die wenigen Stunden Schlaf, die ich bekam, halfen nicht, und Vomex habe ich erst später für mich entdeckt, zum Teil wegen dieses Erlebnisses. Es tut mir leid, Axel und Graciela, so ein spektakuläres Tasting würde ich heute ganz anders angehen. Aber immerhin ist man heute nicht darauf angewiesen, den Mezcal aus erster Hand kredenzt zu bekommen, sondern kann ihn dank großartiger Importeure wie Axel Huhn auch zuhause auf der Couch trinken. Wohin ich mich nun begebe, mit einem Veladora des Real Minero Largo. Verdammt, ist die Flasche schnell leer.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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