Jugendliche Trinken anders heute. „Ein neuer Trend zur Nüchternheit“ wird da beschworen, „die Vermeidung von Kontrollverlust“ ist den modernen Jugendlichen wichtig – und es gibt neuen Peer Pressure, sich in Zeiten von Social Media nicht unselbstoptimiert zu zeigen. Sehr schön finde ich den smarten Vergleich von Effekten von Alkohol und Photoshop-Filtern, ja, das „Schöntrinken“ geht heute eben auch anders. 2023 erschien dieser Artikel, der auch heute noch lesenswert und wohl aktuell ist. Ich unterstütze diesen Trend, denn ich war schon immer und bin weiterhin ein strenger Verfechter des „trinke gut und wenig statt schlecht und viel“, ich hoffe, das ist bei meinen Blogeinträgen erkennbar.
Ich selbst bin ja ein absoluter Späteinsteiger, was Alkohol allgemein angeht, habe als Jugendlicher nichts getrunken, nichtmal Bier. Umso spannender für mich ist das Produkt, das wir heute betrachten: den Bobby’s Schiedam Dry Gin. Er ist einer der ganz frühen Brände, mit denen meine Spirituosenreise angefangen hat, einer der ersten Gins in meiner Heimbar überhaupt. Er ist dann irgendwie ganz nach hinten in meiner Bar gerutscht, verdrängt in der Sturm-und-Drang-Phase, in der ich so viele Flaschen jeder Art gekauft hatte, und hat dort ordentlich Staub aufgesammelt. Ich grabe ihn nun aus, re-aktiviere die alten Tasting Notes von damals, und ergänze sie mit neuen Eindrücken.

Klar und ohne jede Färbung oder Trübung. Vergleichsweise ölig im Glas, dichter, schnell ablaufender Beinteppich. Die Nase ist sehr fruchtig, erinnernd an bittere, englische Orangenmarmelade, Zitronengras, und frisch geriebenen Ingwer. Etwas Florales kommt dazu, nach Rosenblüten und, das ist bei mir so eine Kindheitsreflexerinnerung, Kölnisch Wasser; spät auch eine leichte glasreinigerähnliche Note, man sieht, ich habe hier sehr unterschiedliche Assoziationen. Nur ein Hauch von Wacholder, das erwarte ich bei diesem Gin auch nicht, er ist für mich der Archetyp der Pseudokategorie „New Western Style“. Er wirkt insgesamt jedenfalls sehr exotisch.
Weich und cremig kommt der Bobby’s im Antrunk an. Weiterhin blumig, aber hier nur noch sehr dezent fruchtig, die Hauptbotanicals übernehmen hier – neben Zitronengras auch Ingwer, wie ich meine, und Zitronenschale. 42% Alkoholgehalt machen sich in einer gewissen Breite und Kraft des Gins erkennbar, das vorsichtige Feuer, das im Verlauf entsteht, ist eher Würzigkeit. Der Abgang ist sehr bitter, kribbelig im ganzen Mundraum und sehr trocken. Von der Länge her mittellang, am Ende bleibt ein Eisenton im Mund, dazu ein Anästhesieeffekt auf der Zungenspitze. Einige kräuterige Zitronengras- und Ingwernoten hängen noch etwas nach.

Ein moderner Gin, der nicht mehr viel mit klassischem Wacholdergin zu tun hat – schade, dass das heutzutage kein Oxymoron mehr ist, sondern dass man erwähnen muss, wenn ein neuer Gin eine dominierende Wacholderkomponente hat. Mir gefällt er als Mixgetränk, allerdings nicht in klassischen Rezepturen. Pur ist er angenehm zu trinken, und durch seine Exotik spannend.
Nun ist der Bobby’s für mich persönlich der Traumgin in einem exotischen Gin & Tonic. Im Zusammenspiel mit viel Eis und einem guten Schuss Fever Tree Mediterranean Tonic ergibt sich der perfekte fruchtig-frische, dabei angenehm süßliche Sommerdrink. Dennoch will ich hier kein Gin & Tonic-Rezept vorschlagen, das wäre zu einfach für meinen Geschmack. Durch seine eigene Aromatik gibt er dem uralten Klassiker Monkey Gland einen leichten Twist, den man mit Standardgin nicht bekäme. Aber Vorsicht – nach ein paar davon kommt man auf verrückte Ideen, wie sich Affenhoden implantieren zu lassen. In einer guten Bar wird man diesen Wunsch aber so oder so nicht erfüllen.

Monkey Gland
1½oz / 45ml London Dry Gin
1½oz / 45ml Orangensaft
1 Teelöffel Grenadine
1 Teelöffel Zuckersirup
1 Teelöffel Absinthe
Auf Eis shaken.
[Rezept leicht adaptiert nach Harry MacElhone]
Die Flasche ist in einem schönen Grünbraun gehalten, hoch und besonders in der Form. Das Design, das in weiß direkt auf die Flasche gedruckt ist, soll wohl an die Zusammenstellung des Gins erinnern, die ja niederländisch-ostindisch inspiriert ist, die alten Kolonien der Niederlande in Indonesien, insbesondere der Insel Java, liefern ja genau die Zutaten, die beim Bobby’s Gin im Vordergrund stehen.
Dieser Gin war, wie gesagt, einer der Vorreiter für die Abwendung vom klassischen, wacholderdefinierten Gins, eine Zeit, in der jeder aromatisierte Wodka als Gin vermarktet wurde und man zuschauen konnte, wie die Kategorie sich selbst auflöste; das Pendel ist inzwischen wieder zurückgeschwungen. Der aktuelle Gin (im Sinne der Kategorie) ist im Allgemeinen wieder deutlicher vom Wacholder dominiert, wie es das EU-Gesetz auch vorschreibt; sicher ein Teil dieser Bewegung stammt auch von Spirituosenwettbewerben wie dem ISW in Deutschland oder Spirits Selection by CMB international, die den Juroren nun ans Herz legen, diese Kategorien enger zu bewerten und einen Gin durchaus auch abzuwerten, wenn er zuwenig Wacholder zeigt. Eine gute Sache, finde ich.