Das schöne an Samples ist, dass man sich erstmal einen Überblick über eine Spirituose verschaffen kann, und nicht direkt in die Investition in eine ganze Flasche gehen muss. Allerdings kann das Problem entstehen, dass sich Samples zuhause anstauen – ich zum Beispiel habe aktuell drei bis vier Dutzend unberührte kleine Fläschchen rumstehen, die mir entweder zugeschickt wurden oder die ich von diversen Quellen angefordert hatte, weil mich der jeweilige Schnaps interessierte. Und kaum hat man es daheim, wechselt die Spannung zu etwas anderem hin, und der arme Brand rutscht im Regal nach hinten. Jeder, der sich mit Spirituosen über Samples beschäftigt, kennt die Situation, da muss ich nicht weiter reden.
Wenn es dann ein Sample doch mal nach (wie hier) jahrelanger Wartezeit in mein Verkostungsglas schafft, frage ich mich oft, warum ich das so lange habe rumstehen lassen. Das Cachaça-Tastingset, das ich neulich hier vorgestellt hatte, ist das beste Beispiel dafür – und in dem Set fand ich eine Spirituose, die mich in wenigen Schlucken so begeistert hatte, dass ich dann doch die ganze Flasche davon haben musste; und dementsprechend stelle ich heute die Weber Haus Cachaça Envelhecida em Canela Sassafrás vor. Sie wurde in der Destillerie Weber Haus in Ivoti, das liegt im südlichsten brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul, gebrannt, und das besondere ist die Reifung für ein Jahr in einem Fass („envelhecida“), das aus dem Holz des Baums Canella Sassafrás (Ocotea odorifera) hergestellt wurde. Es handelt sich dabei um eine bedrohte Spezies, etwas, worüber man sich beim Kauf einer in nativem brasilianischem Holz gereiften Cachaça immer mit Gedanken machen sollte – Weber Haus ist biozertifiziert, das bezieht sich erstmal hauptsächlich auf den Anbau des Zuckerrohrs, doch ich habe damit schon ein gewisses Vertrauen, dass auch das Sourcing des Holzes für die Fässer mit einer diesbezüglich angemessenen Vorsicht und Nachhaltigkeit geschieht. Jedenfalls sieht man wirklich nicht viele Cachaças, die in dieser Holzart gereift wurden, um so besonderer ist dieses Produkt, das nehme ich schonmal vorweg, und wer meine Rezension zu oben erwähntem Tasting-Set gelesen hat, weiß ja schon, dass ich hier etwas zur Begeisterung neigen werde.
Farblich schlägt hier das Fass voll zu, irgendwie passend zu dem Namen des Holzes, das an Zimt erinnert, ist auch die Färbung nun deutlich, ein richtig kräftiges orange-braun, das man schon in der Flasche gut sieht, im Glas beim Schwenken noch mehr. Das gefällt dem Auge, wie auch die Viskosität, bei der sich hübsch anzusehende Schlieren bilden.
Hält man das Glas dann an die Nase, ist man direkt irgendwie entrückt – der Duft ist durchaus erstaunlich, da ist viel Honig, Zimt, schwersüße Tropenfrucht, vielleicht sehr reife Sternfrucht, aber auch eine erdig-holzige Seite, die ein bisschen an Grappa erinnert. Darüber liegt ein parfümartiger Geruch, etwas Moschus, etwas Zedernholz, Zypresse, und ein Hauch schwerer Lilienduft. Unglaublich komplex und interessant, was zum lange dran schnüffeln, wenn man zwischendurch kurze Pausen einlegt, ist der Überraschungseffekt jedesmal neu da. Man spürt inzwischen, man hat hier eine durchaus besondere Spirituose im Glas, einfach, weil es wirklich „etwas anderes“ ist, das man so nicht schon hundertmal gerochen hat.
Im Mund ist das auch schwer greifbar, sehr holzig, fast an Latschenkiefer-Saunaaufguss erinnernd, Zypressenholz und Eukalyptusblätter. Dann richtig deutlich Zimt, mit einer klaren Anisunternote, Leder, Tonkabohne, Kokosnussschale, heller Tabak und Geranie. Auch hier ultrakomplex, ich könnte noch ein Dutzend Impressionen aufzählen, das würde aber schon fast albern wirken im Text hier, ich garantiere aber, dass es nicht fantasiert wäre. Leichte Textur, schmaler Körper, frisch, mit klarem, grünen Nachhall, und deutlicher Bitterkomponente im Rachen; ein Brand, der einen ständig zwingt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Unglaublich, atemberaubend! Man vermisst auch kaum einen höheren Alkoholgehalt als die vorhandenen 38%, für Cachaça ist das manchmal völlig ausreichend, die Direktheit, mit der sie hergestellt wird, liefert genug Aromen – allein der Körper würde dadurch vielleicht etwas gewinnen. Das ist aber nun wirklich meckern auf höchstem Niveau!
In letzter Zeit hatte ich nicht viel Glück mit Floats, oft rutschte die Wunschschicht einfach durch bis auf den Boden; natürlich weiß ich, dass das mit den relativen Dichten zusammenhängt, ich habe aber noch nicht eruieren können, dieses Verhalten wirklich vorherzusagen bei unterschiedlichen Mixturen. Nun, beim Red-Head Saint hat es jedenfalls offensichtlich geklappt – die Peychaud’s Bitters schwimmen schön obenauf und geben dem Drink natürlich ihren Namen. Auch geschmacklich fühlt es dieser Cocktail irgendwie „rot“ an, vielleicht wegen dem Zimtholz in der Hauptspirituose. Wer weiß.
Red-Head Saint
2oz / 60ml gereifte Cachaça
¾oz / 23ml Limettensaft
½oz / 15ml Agavendicksaft
¼oz / 7ml Chartreuse jaune
4 Spritzer Bitters
Auf Eis shaken. Im Glas voll Eis servieren. Mit 4 Spritzern Peychaud’s Bitters toppen.
[Rezept nach David Slope]
Die Flasche ist von der Form her unauffällig, leicht amphorenförmig, jedenfalls aber gut in der Hand liegend. Das Etikett ist transparent gedruckt und lässt viel von der rötlichen Flüssigkeit durchscheinen, sowas finde ich immer sehr apart. Und ich hoffe, man bemerkt den „Spirits Selection by CMB“-Aufkleber; zu dem Zeitpunkt, als diese Cachaça diese Goldmedaille gewann, war ich noch nicht Juror dort, bin also unvoreingenommen – aber ich nehme es durchaus als Bestätigung für die Qualität, denn ich weiß, wie dieser Wettbewerb läuft.
Natürlich gilt, dass die Weber Haus Cachaça Envelhecida em Canela Sassafrás kein absolut typisches Beispiel für ihre Kategorie ist, wer sich also erstmal in den brasilianischen Zuckerrohrbrand eintrinken will, sollte definitiv zunächst ein paar andere Produkte probieren, um eine stabile Baseline zu bekommen. Danach aber lege ich jedem diese ganz besondere Variante ans Herz, um zu erkennen, wie faszinierend so eine spezielle Holzart auf ein Destillat einwirken kann und die Kombination einen Zauber entfaltet, dem man sich nur schwer widersetzen kann – oder will.


