Viele Länder im Norden Europas haben eine zwiegespaltene Geschichte, was Alkohol angeht. In Island beispielsweise war Alkohol über lange Zeit nicht erwünscht, von 1915 bis 1989 gab es eine Prohibition, die über viele Jahre mit einem Alkoholtotalverbot sogar Bier beinhaltete. Die Abhängigkeitsgeschichte zum Königreich Dänemark, bei der die Dänen ein Monopol zugunsten der dänischen Produkte einrichtete, legte die Basis, eine Volksabstimmung 1908, bei der das Totalverbot mit 60% Zustimmung beschlossen wurde (die Abstinenzbewegung war stark damals!), läutete die Totenglocke für isländische Spirituosen. Auch nach der Unabhängigkeit 1918 durften nur Regierungsstellen destillieren, und erst 1989 wurde die Prohibition endgültig abgeschafft. Weiterhin kann man in Island Spirituosen allerdings nur in behördlich kontrollierten Geschäften kaufen, sogar Bier ist nur in leichten Varianten bis ca. 2,25% Alkoholgehalt in normalen Supermärkten erhältlich, für Stärkeres muss man auch in die Vínbúðin-Märkte.
Dort, und am Duty-Free-Shop des Flughafens Keflavík, kann man dann zum Beispiel auch den Þúfa Handcrafted Brennivín erwerben, was ich am Ende meines Islandaufenthalts im Winter 2024 auch getan habe. Bei der Brunnur Distillery in Reykjavík wird dieser „gebrannte Wein“ hergestellt, in den dort stehenden zwei 170l-Kupfer-Brennanlagen, an die kleine Säulen angeschlossen sind, entsprechend macht man nur kleine Mengen. Der Brennivín wird mit Schilfgras, Schafgarbe und Kümmel aromatisiert und mit isländischem Wasser auf 38% Alkoholgehalt eingestellt. Eine besondere Spirituose mit Geschichte, wie man sieht, und ich freue mich auf die Verkostung!
Ätherische Öle sorgen manchmal dafür, dass eine Spirituose eine Trübung erhält, man kennt das besonders von Ouzo oder Absinth. Beim Þúfa erkennt man es schon in der Flasche, dass da ein Schleier auf der Flüssigkeit liegt, im Glas noch deutlicher, dies ist natürlich kein Fehler, sondern zeigt einfach auf, dass hier ein natürlicher Prozess stattfindet. Die Viskosität ist passend dazu gegeben.
Dass ein Brennevín mit einem Aquavit verwandt ist, wird spätestens klar, wenn man die Nase ins Glas hält. Da ist direkt sehr viel Kümmel, klar die dominante Note, ohne kantig oder kratzig zu sein, ganz weich und rund findet man ihn abgebildet. Ich rieche noch ein Kraut, das ist wohl die Scharfgarbe und das Schilfgras, es erinnert deutlich an Kamille, vielleicht auch ganz milden Thymian und getrockneten Beifuß. Ja, der Þúfa hat was von einem Kräuteraufguss oder -tee, mit einem Hauch Fenchel und sogar Gurke noch, in minimalsten Dosen, aber ein Duft wie dieser lässt es zu, dass man die olfaktorische Fantasie laufen lässt.
Am Gaumen zeigt der Þúfa sich extremst weich und zart, wirklich wie ein Löffel verdünnter Honig, mit viel natürlicher Süße und einer sehr cremigen, runden Textur, die erstmal richtig bezaubert. Der Kümmel erscheint zeitnah, ebenso die krautige Nebenkomponente. Im Verlauf entsteht dann ganz langsam und bedacht Würze, nicht scharf aber durchaus pikant, weißpfeffrig und mit einem klaren Mentholeffekt, der die Zungenfläche zum erfrieren bringt, sie leicht betäubt, eindeutig nicht aus der Alkoholstärke entstehend, sondern aus den botanischen Pflanzenzusätzen. Der Abgang ist frisch und weiterhin stark krautig, der Kümmel blitzt nochmal besonders auf, und dominiert dann auch den langen Nachhall, der den ganzen Mundraum eine ordentliche Weile belegt und sehr angenehm hinterlässt.
Oh, dieses Mundgefühl, das ist wirklich etwas Besonderes hier, das sollte man erlebt haben, wirklich grandios weich und breit. Auch die dezente Aromatik ist perfekt eingespielt in dieses Gefühl. Eine großartige Spirituose, die da von der Insel im Norden kommt, ich spreche hiermit eine sehr warme und herzlich gemeinte Empfehlung aus, den Þúfa zu probieren, wenn man an sie herankommt – ein ideales Mitbringsel von Island, wenn man mal dorthin kommt.
Eine alte isländische Sitte war es wohl, das verfügbare alkoholfreie Bier mit einem Schuss Brennevín aufzuspritten und es dann Bjórlíki („Bierersatz“) zu nennen, dafür ist der Þúfa aber nicht die ideale Wahl, zu zart und gleichzeitig zu feinaromatisch ist er als reiner Alkohollieferant. In einem Cocktail dagegen würde ich ihn immer gern sehen, zum Beispiel im Snapsvisa Sour, wo er seine ganzen aromatischen und texturellen Stärken ausspielen kann.
Snapsvisa Sour
1 Thymianzweig und 1 Kardamom-Kern muddeln
1½oz / 45ml Aquavit
½oz / 15ml Amaro
¾oz / 23ml Zitronensaft
½oz / 15ml Zuckersirup
Auf Eis shaken, doppelt abseihen. Mit einem Thymianzweig servieren.
[Rezept adaptiert nach Josephine Estelle]
Die Flasche hat keine nennenswerten Details aufzuweisen. Das Etikett dagegen gefällt mir in seiner Buchseitenart, keine ablenkende Illustration oder Marketingsprüche, die gar nicht zur strengen isländischen Art passen würden, nur ein Anflug herber isländischer Poesie ist erkennbar. Knapper Text, nachträglich aufgedruckte Batch- und Flaschennummer, das ist alles, und mehr würde ich auch gar nicht wollen.
Diesen Artikel veröffentliche ich am 23. Dezember, dieser ist der Tag des Heiligen Thorlak, des isländischen Schutzpatrons, und wird unter dem Namen Þorláksmessa als eine Art Vorweihnacht gefeiert. Man isst auf Island heute Rochen mit Kartoffeln, und trinkt dazu Brennivín. Wer einen daheim hat, kann mit mir virtuell gerne darauf anstoßen – wer nicht, besorgt sich für nächstes Jahr einen guten Brennivín, wie den Þúfa, und wir holen das 2026 nach!


